Rechtsnachfolge
Unter Rechtsnachfolge (lateinisch Sukzession) versteht man in der Rechtswissenschaft den Übergang von Rechten und Pflichten von einem Rechtssubjekt auf ein anderes. Das übertragende Rechtssubjekt heißt dabei Rechtsvorgänger, das in die Rechte und Pflichten eintretende Rechtsnachfolger.
Allgemeines
Als Rechtssubjekte kommen natürliche Personen und Personenvereinigungen wie juristische Personen, Stiftungen oder Personengesellschaften in Betracht. Die bestehenden Rechte und Pflichten dieser Rechtsträger gehen mit dem Tod einer natürlichen Person, der Übertragung oder Liquidation einer Personenvereinigung nicht unter, sondern gehen vielmehr kraft Gesetzes oder vertraglicher Vereinbarung auf ein anderes Rechtssubjekt (den „Rechtsnachfolger“) über. Bestehende Gesetze kennen keine Legaldefinition des Rechtsbegriffs Rechtsnachfolge, obwohl das Bürgerliche Gesetzbuch (§§ 148, 746, 751, 755 Abs. 2, 943, 999, 1010, 1059a Abs. 1, 1100, 1101, 1102, 1179a Abs. 3 BGB) oder die Zivilprozessordnung (§§ 239, 265, 266, 325, 727, 799 ZPO) ihn häufig verwenden.[1] Für Friedrich Carl von Savigny galt 1840 die „fortdauernde Identität“ eines Rechtsverhältnisses als wesentlicher Faktor der Rechtsnachfolge.[2] Bernhard Windscheid sah 1906 in der Rechtsnachfolge das „Eintreten eines Subjects an die Stelle eines anderen“[3] und kam damit der heutigen Definition sehr nahe.
Arten
Man unterscheidet zwischen der Einzelrechtsnachfolge (Singularsukzession) und der Gesamtrechtsnachfolge (Universalsukzession). Grundfall der Rechtsnachfolge ist die Einzelrechtsnachfolge. Ihr Übertragungsmodus besteht darin, dass sich der Rechtsübergang auf einen konkreten Gegenstand bezieht, der unter Beachtung der für seine Übertragung geltenden Rechtsvorschriften von einem Rechtsträger auf einen anderen übergeht.[4] Der Veräußerer eines Grundstücks überträgt es einer anderen Person, z. B. verkauft dieses im Zweifel mit allen wesentlichen Bestandteilen (§ 946 BGB) und Zubehör (§ 926 Abs. 1 Satz 2 BGB). Bei der Gesamtrechtsnachfolge gehen alle Rechte und Pflichten ohne Rücksicht auf die für eine Einzelrechtsnachfolge vorgesehenen Vorschriften als Gesamtheit auf den Nachfolger über.[5]
Zu unterscheiden sind folgende Unterarten:
- Einzelrechtsnachfolge:
- Kraft Rechtsgeschäft: Der Wille der Vertragsparteien löst den Rechtsübergang aus. Hierzu gehören die Abtretung von Forderungen (§ 398 BGB) und anderen Rechten (§ 413 BGB), Schuldübernahme (§§ 414, 415 BGB), Mobiliarerwerb (§§ 929 ff. BGB) und Grundstücksübereignung (§§ 873, 925 BGB).
- Kraft Gesetzes: Liegen bestimmte Tatsachen vor, verlangt das Gesetz den Rechtsübergang. Wichtigster Fall ist der gesetzliche Forderungsübergang (lateinisch cessio legis, § 412 BGB).
- Kraft Hoheitsakt: Zu nennen sind die Zwangsvollstreckung (Zwangsversteigerung von beweglichen Sachen durch Zuschlag nach § 817 Abs. 2 ZPO, Zwangsversteigerung von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten nach § 90 ZVG, Eintragung von Zwangs- und Arresthypotheken nach § 867 Abs. 1 Satz 2, § 932 ZPO).
- Eine Gesamtrechtsnachfolge[6] gibt es in verschiedenen Rechtsgebieten:
- Arbeitsrecht: Die wichtigste Gesamtrechtsnachfolge ist der in § 613a BGB geregelte Betriebsübergang. Der neue Arbeitgeber tritt in sämtliche Rechte und Pflichten des bisherigen Arbeitgebers ein und übernimmt insbesondere alle bestehenden Arbeitsverhältnisse.
- Erbrecht: Der Erbe ist der Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers (§ 1922 Abs. 1 BGB). Sämtliche Rechtsverhältnisse einschließlich des digitalen Erbes, das Vermögen und die Schulden (bis auf die höchstpersönlichen wie z. B. Arbeitsverhältnis oder Ehe) – gehen mit dem Tod des Erblassers im Wege der Erbfolge auf den oder die Erben über.
- Gesellschaftsrecht: Die Anwachsung ist nach § 738 BGB der Regelfall. Das Gesetz verlangt, dass der Anteil ausscheidender Gesellschafter am Gesellschaftsvermögen den übrigen Gesellschaftern zuwächst. Scheidet der vorletzte Gesellschafter aus, so übernimmt der verbleibende Gesellschafter die Gesellschaft als Einzelunternehmen. Gegensatz ist die Realteilung, die keine Gesamtrechtsnachfolge darstellt. Bei der Fusion von Unternehmen kommt es nach § 2 Umwandlungsgesetz (UmwG) zu einer Gesamtrechtsnachfolge des übernehmenden vom übertragenden Rechtsträger.
- Im Handelsrecht führt die Übertragung eines Handelsgeschäfts nach § 25 HGB zur Haftung des Übernehmers für die im Betrieb des Geschäfts begründeten Verbindlichkeiten des früheren Inhabers.
- Das Kommunalrecht kennt die Eingemeindung (das Dorf A wird in die Stadt B eingemeindet) und die Verschmelzung von Behörden. Die übernehmende Gemeinde/Behörde wird Rechtsnachfolgerin der übertragenden.
- Mietrecht: Wird vermieteter Wohnraum von dem Vermieter an einen Dritten veräußert, so tritt der Erwerber anstelle des Vermieters in die sich während der Dauer seines Eigentums aus dem Mietverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten ein („Kauf bricht nicht Miete“; § 566 BGB).
- Im Steuerrecht gehen nach § 45 AO die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis automatisch auf den Rechtsnachfolger über.
- Das Verfahrensrecht sieht in § 265 ZPO vor, dass die eine oder andere Partei die in Streit befangene Sache veräußern oder den geltend gemachten Anspruch abtreten kann, ohne dass deren Rechtshängigkeit beeinträchtigt wird oder den Gerichtsprozess beeinflusst. Als Rechtsnachfolger kann derjenige das Verfahren aufnehmen, auf den nach materiellem Recht die strittige Rechtsposition übergegangen ist.[7] Ein rechtskräftiges Urteil wirkt nach § 325 Abs. 1 ZPO für und gegen die Parteien und die Personen, die nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit Rechtsnachfolger der Parteien geworden sind. Das gilt auch für vollstreckbare Ausfertigungen nach § 727 Abs. 1 ZPO.
Ausnahmen der Gesamtrechtsnachfolge sind etwa Gesellschafteranteile an einer Personengesellschaft (siehe Fortsetzungsklausel) und das Eintrittsrecht bei Tod des Mieters nach § 563 Abs. 2 BGB.
Internationale Staatensukzession
Die Rechtsnachfolge im Staats- und Völkerrecht ist die Staatensukzession, das Einrücken eines Staates oder mehrerer Staaten in die völkerrechtliche Rechtsposition eines anderen Staates oder mehrerer anderer Staaten. Es geht also auch hier um das Verhältnis von mindestens zwei Rechtssubjekten.[8] Zu unterscheiden ist zwischen der Einverleibung (Annexion Koreas durch Japan 1910), Verschmelzung mehrerer Staaten zu einem (Vereinigte Arabische Republik 1958), Angliederung eines Staatsteils an einen anderen Staat (Hochsavoyen an Frankreich durch den Savoyerhandel 1860), Verselbständigung (Finnland 1919), Zerfall eines Staats in mehrere Staaten (Zerfall der Sowjetunion 1991 in Russland und die Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR, sowie in Litauen, Estland und Lettland) und die Gründung von Protektoraten, Mandaten und Treuhandgebieten.[9] Mit ihrem Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland ist die DDR mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 als Staats- und Völkerrechtssubjekt untergegangen und nimmt seither an der staats- und völkerrechtlichen Kontinuität Deutschlands in der Form der Identität der Bundesrepublik teil.[10]
Abgrenzung zur Rechtsidentität
Von der Rechtsnachfolge zu unterscheiden ist die Rechtsidentität. Bei der Ersteren tritt ein Rechtsträger umfassend in die Rechte und Pflichten eines anderen Rechtsträgers ein; bei Letzterer besteht der bisherige Rechtsträger fort, wenn auch gegebenenfalls unter einem anderen Namen. Rechtsidentität kann im Zivilrecht ebenso auftreten wie im Völkerrecht. Beispielsweise führt nach deutschem Recht ein Rechtsformwechsel nach Umwandlungsgesetz (etwa: Umwandlung einer Aktiengesellschaft in eine GmbH) nicht zur Rechtsnachfolge, sondern zur fortbestehenden Existenz des bisherigen Unternehmens, wenn auch in neuer Rechtsform und womöglich mit neuer Firma (§ 202 UmwG).
Wechsel des Rechtssubjekts
Die Dynamik des Alltags kann zur Folge haben, dass Rechte und Pflichten nicht für immer bei derselben natürlichen Person als Rechtsträger verbleiben, sondern diese zeitlebens einen Teil an andere Rechtssubjekte übertragen kann (etwa durch Kaufvertrag, Zession, Schenkung) oder beim Tod durch Erbschaft insgesamt auf dessen Erben übergehen. Dies gilt gleichermaßen für Personenvereinigungen, die Teile ihres Vermögens auf andere Rechtssubjekte übertragen können (etwa durch Outsourcing, Fusion, Unternehmensverkauf). Juristische Personen sind zwar auf unbestimmte Zeit angelegt, sie können jedoch ihre rechtliche Existenz durch Aufhebung oder faktischen Untergang beenden. Sonderregelungen bestehen im Falle von Liquidation oder Insolvenz. Mit der Beendigung des Insolvenzverfahrens erhält der ehemalige Insolvenzschuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zurück, die während des Verfahrens dem Insolvenzverwalter zustand (§ 215 Abs. 2 InsO). Der Insolvenzverwalter selbst ist zu keiner Zeit Rechtsnachfolger des Insolvenzschuldners. Endet eine Insolvenz-, Zwangs- oder Nachlassverwaltung, tritt der materiell Berechtigte die Prozessnachfolge an. Ist kein Rechtsnachfolger vorhanden, wird die Klage mit dem Untergang der juristischen Person unzulässig.[11] Werden juristische Personen nach Liquidation oder Insolvenz aus dem Handelsregister gelöscht, gibt es keinen Rechtsnachfolger mehr; sie haben aufgehört, zu existieren.
Siehe auch
Weblinks
- Rechtsnachfolge, Stichwort im Politiklexikon der Bundeszentrale für politische Bildung
Einzelnachweise
- ↑ Jan Lieder: Die rechtsgeschäftliche Sukzession (= Jus Privatum, Band 188). Mohr Siebeck, Tübingen 2015, ISBN 978-3-16-152911-5, S. 20 ff.
- ↑ Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band III, 1840, S. 9.
- ↑ Bernhard Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Band I, 1906, § 63, 2a.
- ↑ Jan Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, S. 33.
- ↑ Jan Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, S. 33 f.
- ↑ Jan Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, S. 36 ff.
- ↑ RGZ 109, 47.
- ↑ Kristyna Marek: Identity and Continuity of States in Public International Law, 1954, S. 10.
- ↑ Leonore Herbst: Staatensukzession und Staatsservituten, Duncker & Humblot, Berlin 1962, S. 21.
- ↑ Gilbert Gornig: Der völkerrechtliche Status Deutschlands zwischen 1945 und 1990. Auch ein Beitrag zu Problemen der Staatensukzession. Wilhelm Fink, München 2007, S. 26 f., 34.
- ↑ BGHZ 74, 112.