Nuvvuagittuq-Grünsteingürtel
Der Nuvvuagittuq-Grünsteingürtel ist eine Gesteinseinheit an der Hudson Bay im Nordosten Kanadas (Provinz Québec), die mit einem Alter von möglicherweise bis zu 4,4 Milliarden Jahren das bisher älteste bekannte Krustensegment der Erde bildet. Der Grünsteingürtel enthält ferner mikroskopische Strukturen, bei denen es sich um die ersten Fossilien der Erde handeln könnte.
Etymologie
Nuvvuagittuq ist eine Wortzusammensetzung aus dem Inuktitut. Sie wird gewöhnlich als „Landspitze der weißen Streifen“ wiedergegeben (Englisch „point with white stripes“ – was auf die anstehenden weißen, bänderartigen, granitischen Intrusiva anspielt. Nuvvua bzw. Nuvua bedeudet „Spitze, Landspitze, Punkt“.
Geschichtliches
Der Nuvvuagittuq-Grünsteingürtel, engl. Nuvvuagittuq Greenstone Belt – vormals noch als Porpoise Cove Greenstone Belt bezeichnet – wurde erstmals im Jahr 1965 von der Quebec Ministry of Natural Resources geologisch kartiert. Das Gebiet führte jedoch bis in die 2000er Jahre ein relatives Schattendasein – bis Cates und Mojzsis im Grünsteingürtel im Jahr 2007 mittels der Uran-Blei-Datierung Alter bis zu 3750 Millionen Jahre an Zirkonen fanden.[1] Seitdem rückte der Nuvvuagittuq-Grünsteingürtel in den Brennpunkt intensiver wissenschaftlicher Untersuchungen. Das Alter und die Entwicklungsgeschte des Gürtels bleiben aber nach wie vor unter Wissenschaftlern umstritten.[2]
Lage und geologische Situation
Der etwa 6 Quadratkilometer große Nuvvuagittuq-Grünsteingürtel liegt im nördlichen Teil des Superior-Kratons, des größten gut erhaltenen archaischen Kratons der Erde. Der Superior-Kraton gehört mit dem Slave-Kraton, dem Wyoming-Kraton und dem Nordatlantik-Kraton zu den vier erhaltenen archaischen Kratonen im Norden der USA, in Kanada und in Grönland. Er besteht aus Grünsteingürteln und metamorphen Sedimenten (Metasedimenten), in die Intrusiva granitischer Zusammensetzung eingedrungen sind. Im Nordosten und im Südwesten enthält er hochmetamorphe Gürtel von Gneisen.[3] Der Nuvvuagittuq-Grünsteingürtel liegt im größten dieser Gneisgebiete, dem Minto-Gürtel oder Minto-Block im Nordosten der Hudson Bay (North Eastern Superior Province oder abgekürzt NESP).[4][5] Der Nuvvuagittuq-Grünsteingürtel bildet innerhalb der Inukjuak Subprovince Teil einer mafischen suprakrustalen Einheit – der Ujaraaluk-Einheit.[6]
Der Grünsteingürtel ist in einem etwa 3 × 4 km großen Gebiet direkt an der Hudson Bay aufgeschlossen. Der Name der Einheit wurde nach einem im Norden der Einheit gelegenen Hügel gewählt, früher war sie auch als Porpoise Cove Formation bekannt. Sie enthält metamorphe vulkanische und sedimentäre Gesteine in einer isoklinalen Synform, überfaltet zu einer offeneren, nach Süden einfallenden Synform. Umgeben ist das Vorkommen von tonalitischem Gneis der Boizard-Folge.
Lithologie
Kennzeichnende Lithologie des Grünsteingürtels sind hellgraue bis beige mafische Amphibolite mit Cummingtonit anstelle der gewöhnlich im Superior-Kraton in den normalerweise dunklen bis schwarzen Amphiboliten vorkommenden Hornblende (Faux-Amphibolite, also falscher oder trügerischer Amphibolit). Diese ungewöhnlichen Amphibolite nehmen den größten Teil des Grünsteingürtels ein. In die Amphibolite eingeschaltet sind ultramafische Lagergänge, die auf ein ursprünglich komatiitisches Magma zurückgeführt werden können, sowie Pegmatite. Selten kommen felsische Glimmerschiefer vor, die als ehemalige Tuffite angesprochen werden.
Neben den magmatischen Gesteinen sind auch umgewandelte Sedimentgesteine erhalten geblieben und als bandförmige Vorkommen in den Amphiboliten eingeschaltet. Wie auch in anderen archaischen Gesteinseinheiten sind oxid- und quarzreiche Bändererze (Banded Iron Formation, BIF) vertreten. Die Bändererze zeigen viele Gemeinsamkeiten mit ähnlichen Eisenformationen des Algoma-Typus.[7] Es wurde vorgeschlagen, dass Eisenformationen des Algoma-Typus eventuell in einer anoxischen Umgebung – wie sie für die frühe Erde charakteristisch war – aufgrund bakterieller Tätigkeiten ausfallen können.[8] Diese Eisenformationen könnten somit einen der ersten Fingerabdrücke des Lebens darstellen und darauf hinweisen, dass bereits zur Bildungszeit des Grünsteingürtels biologisch vermittelte Reaktionen stattfanden.
Bestimmte Gneise sind möglicherweise als konglomeratische Einheiten zu interpretieren.
Es gibt Anzeichen dafür, dass die verschiedenen Untereinheiten des Grünsteingürtels trotz der starken Überprägung noch in ihrem ursprünglichen stratigraphischen Verband liegen. Alle Gesteine unterlagen einer hochgradigen Metamorphose bis hin zur oberen Amphibolit-Fazies und einer späteren rückschreitenden Metamorphose (Diaphthorese).
Bedeutung für die Wissenschaft
Die Gesteine und ihr Alter sind noch Gegenstand der Forschung. Zunächst in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlichte Altersdatierungen dieser Gesteine lagen zwischen 3,6 und 3,8 Mrd. Jahren.[9] Die Möglichkeit, dass die Gesteine im Nuvvuagittuq-Grünsteingürtel zum Teil ein Alter von bis zu 4,28 Mrd. Jahren haben könnten, wurde im Jahr 2008 von Forschern der McGill University in Montreal entdeckt.[10] Diese Ergebnisse wurden von anderen Forschern bezweifelt.[11] Weiter gehende Untersuchungen sind noch im Gange[12], wobei 2012 ein Alter von ca. 4,4 Mrd. Jahren bestimmt wurde[2], welches jedoch stark bezweifelt wird.[13]
Im Unterschied zu den magmatischen Gesteinen des etwa gleich alten Acasta-Gneises aus Nordwestkanada wurden einige Gesteine des Nuvvuagittuq-Grünsteingürtels ähnlich wie die des 3,8 Mrd. Jahre alten Isua-Grünsteingürtels an der Erdoberfläche abgelagert (suprakrustal). Die umgewandelten Sedimentgesteine sind ein Hinweis darauf, dass zur Zeit ihrer Ablagerung bereits eine Hydrosphäre existiert haben muss.
Mögliche erste Lebensformen
Während in diesem Zusammenhang schon vorher über die Existenz von Leben zur Ablagerungszeit der sedimentären Protolithe der Nuvvuagittuq-Gesteine diskutiert wurde, [7] sind in einer 2017 veröffentlichten Studie Belege für die Präsenz der ältesten Fossilien der Erde in Nuvvuagittuq-Metasedimenten präsentiert worden. Die Gesteine, in denen sich die als Reste von Mikroben interpretierten mikroskopischen Strukturen (Filamente und röhrenartige Gebilde aus Hämatit von bis zu einem halben Millimeter Länge) fanden, sind sicher mindestens 3,77 möglicherweise bis zu 4,28 Mrd. Jahre alt. Es handelt sich um Bändereisenerze (BIFs), die als Ausfällungen von untermeerischen hydrothermalen Quellen gedeutet werden. Sie weisen ein Kohlenstoffisotopenprofil (δC13) auf, das wahrscheinlich Stoffwechselprozesse von Lebewesen zur Ausfällungszeit im Ablagerungsraum anzeigt. Auch mit den Filamenten assoziierte mikrometergroße Kügelchen und Rosetten, die Apatit, Carbonate und Graphit enthalten, alles Minerale, die aus Biomasse hervorgehen können, sowie größere Apatitkörner mit Graphiteinschlüssen werden als Beleg dafür angeführt, dass die Filamente biogen gebildet worden sein sollten. Die ältesten bekannten weitgehend zweifelsfreien Fossilnachweise mikrobiellen Lebens stammen aus Westaustralien (Pilbara-Kraton) und haben ein Alter von 3,46 Mrd. Jahren.[14]Siehe dazu auch World's oldest fossils unearthed. ( vom 3. März 2017 im Internet Archive) – Pressemitteilung auf der Webpräsenz des University College London vom 1. März 2017.
Literatur
- Richard Carlson, Marion Garçon, Jonathan O’Neil, Jesse Reimink und Hanika Rizo: The nature of Earth’s first crust. In: Chemical Geology. Band 530, 2019, S. 119321, doi:10.1016/j.chemgeo.2019.119321 ([1]).
- Jonathan O’Neil, Charles Maurice, Ross K. Stevenson, Jeff Larocque, Christophe Cloquet, Jean David und Don Francis: The Geology of the 3.8 Ga Nuvvuagittuq (Porpoise Cove) Greenstone Belt, Northeastern Superior Province, Canada. In: Martin J. van Kranendonk, R. Hugh Smithies und Vickie C. Bennett, Earth’s Oldest Rocks (Hrsg.): Developments in Precambrian Geology. Band 15, 2007, S. 219–250, doi:10.1016/S0166-2635(07)15034-9. (alternativer Volltextzugriff: ResearchGate)
- Ross K. Stevenson, Jean David, Martin Parent: Crustal evolution of the western Minto Block, northern Superior Province, Canada. In: Precambrian Research. Band 145, 2006, S. 229–242, doi:10.1016/j.precamres.2005.12.004. (alternativer Volltextzugriff:UQAM PDF 1,16 MB).
Weblinks
- Stein-Alter Rekord. Auf: wissenschaft.de vom 26. September 2008.
Einzelnachweise
- ↑ N. L. Cates und S. J. Mojzsis: Pre-3,750 Ma supracrustal rocks from the Nuvvuagittuq supracrustal belt, northern Québec. In: Earth and Planetary Science Letters. Band 255, 2007, S. 9–21.
- ↑ a b Jonathan O’Neil, Richard W. Carlson, J.-L. Paquette und Don Francis: Formation age and metamorphic history of the Nuvvuagittuq Greenstone Belt. In: Precambrian Research. Band 220-221, 2012, S. 23–44.
- ↑ Gerhard H. Eisbacher: Nordamerika. In: Geologie der Erde. 1. Auflage. Band 2. Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart 1986, ISBN 3-432-96901-5, S. 15.
- ↑ K. D. Card: A review of the Superior Province of the Canadian shield, a product of Archean accretion. In: Precambrian Research. Band 48, 1990, S. 99–156.
- ↑ Ross K. Stevenson, Jean David, Martin Parent: Crustal evolution of the western Minto Block, northern Superior Province, Canada. In: Precambrian Research. Band 145, 2006, S. 229–242, doi:10.1016/j.precamres.2005.12.004.
- ↑ Jonathan O'Neil, Don Francis und Richard W. Carlson: Implications of the Nuvvuagittuq greenstone belt for the formation of Earth's early crust. In: Journal of Petrology. Band 52, 2011, S. 985–1009.
- ↑ a b Jonathan O’Neil, Charles Maurice, Ross K. Stevenson, Jeff Larocque, Christophe Cloquet, Jean David und Don Francis: The Geology of the 3.8 Ga Nuvvuagittuq (Porpoise Cove) Greenstone Belt, Northeastern Superior Province, Canada. In: Martin J. van Kranendonk, R. Hugh Smithies und Vickie C. Bennett, Earth’s Oldest Rocks (Hrsg.): Developments in Precambrian Geology. Band 15, 2007, S. 219–250, doi:10.1016/S0166-2635(07)15034-9.
- ↑ K. O. Konhauser und Kollegen: Could bacteria have formed the Precambrian banded iron formations? In: Geology. Band 30 (12), 2002, S. 1079, doi:10.1130/0091-7613(2002)030<1079:cbhftp>2.0.co;2.
- ↑ Jean David, Laurent Godin, Ross Stevenson, Jonathan O’Neil und Don Francis: U-Pb ages (3.8–2.7 Ga) and Nd isotope data from the newly identified Eoarchean Nuvvuagittuq supracrustal belt, Superior Craton, Canada. In: GSA Bulletin. Band 121, Nr. 1–2, 2009, S. 150–163, doi:10.1130/B26369.1.
- ↑ Jonathan O’Neil, Richard W. Carlson, Don Francis und Ross K. Stevenson: Neodymium-142 Evidence for Hadean Mafic Crust. In: Science. Band 321, Nr. 5897, 2008, S. 1828–1831, doi:10.1126/science.1161925.
- ↑ R. Andreasen und M. Sharma: Neodymium-142 evidence for Hadean mafic crust: Comment. In: Science. Band 325, 2009, S. 267–269 (Online-Version; pdf, 153 kB)).
- ↑ John Adam und Kollegen: Hadean greenstones from the Nuvvuagittuq fold belt and the origin of the Earth's early continental crust. In: Geology. Vol. 40, 2012, S. 363–366.
- ↑ N. L. Cates, K. Ziegler, A. K. Schmitt und S. J. Mojzsis: Reduced, reused and recycled: Detrital zircons define a maximum age for the Eoarchean (ca. 3750–3780 Ma) Nuvvuagittuq Supracrustal Belt, Québec (Canada). In: Earth and Planetary Science Letters. Band 362, 2013, S. 283–293.
- ↑ Matthew S. Dodd, Dominic Papineau, Tor Grenne, John F. Slack, Martin Rittner, Franco Pirajno, Jonathan O’Neil und Crispin T. S. Little: Evidence for early life in Earth’s oldest hydrothermal vent precipitates. In: Nature. Band 537, 2017, S. 60–64, doi:10.1038/nature21377.
Koordinaten: 58° 17′ 24″ N, 77° 43′ 48″ W