Die Stirling-Zahlen erster und zweiter Art, benannt nach James Stirling, werden in der Kombinatorik und der theoretischen Informatik verwendet.
Bezeichnung und Notation
Mit Hinweis auf eine bereits 1730 veröffentlichte Arbeit Stirlings, in der diese Zahlen untersucht werden,[1] führte Niels Nielsen 1906 im Handbuch der Theorie der Gammafunktion die Bezeichnung „Stirlingsche Zahlen erster und zweiter Art“ ein[2] („nombres de Stirling“ bereits in einem 1904 veröffentlichten Artikel).[3]
Weder die Bezeichnung als Stirlingzahlen noch einheitliche Notationen haben sich durchgesetzt.[4][5] In diesem Artikel werden Stirlingzahlen der ersten Art mit kleinem
bezeichnet oder übereinander in eckigen Klammern geschrieben, Stirlingzahlen der zweiten Art mit großem
bezeichnet oder übereinander in geschweiften Klammern geschrieben:
.
Die Klammernotation, auch Karamata-Notation genannt, wurde 1935 von Jovan Karamata in Analogie zu den Binomialkoeffizienten
eingeführt,[6] 1992 setzte sich Donald Knuth mit einem ausführlichen Exkurs über die Stirling-Zahlen für diese Schreibweise ein.[5]
Stirling-Zahlen erster Art
Die Stirling-Zahl erster Art
ist die Anzahl der Permutationen einer
-elementigen Menge, die genau
Zyklen haben. Nach einer häufig verwendeten anderen Definition wird stattdessen
als Stirling-Zahl erster Art bezeichnet.
Beispiel
Die Menge
mit
Elementen kann auf folgende Weisen auf
Zyklen aufgeteilt werden:

Also ist
. Für weitere Beispiele siehe Zykeltyp.
Eigenschaften
Es gelten die expliziten Formeln

und die rekursive Formel

mit den Anfangsbedingungen
und
für
oder 
Weitere spezielle Werte sind

Folge A000254 in OEIS
Folge A000399 in OEIS
Folge A001303 in OEIS
Folge A000914 in OEIS

für alle
wobei
die
-te harmonische Zahl und
eine verallgemeinerte harmonische Zahl ist.
Allgemein kann
als Polynom in
vom Grad
aufgefasst werden. Es hat den Leitkoeffizienten
und enthält für alle
die Faktoren n, n−1, …, n−k und für ungerade
die Faktoren n2 und (n−1)2. Das Polynom

in
vom Grad
wird auch als Stirling-Polynom bezeichnet,[7] siehe auch Abschnitt Stirling-Polynome.
Erzeugende Funktionen sind
und
und

mit der steigenden Faktoriellen
Ist
eine Primzahl, dann ist
für
durch
teilbar[8] und für gerade
durch
teilbar (Nielsen 1893).[9] Der Satz von Wolstenholme ist der Spezialfall
Da
die Anzahl aller Permutationen einer
-elementigen Menge ist, folgt

und insbesondere
direkt aus der Definition von
Für jedes
existiert ein
so dass

und
oder
(Erdős 1953).[10]
Für jedes
ist die Folge
streng logarithmisch konkav,[11] das heißt,
für
Das asymptotische Verhalten von
für
bei festem
ist

mit der Euler-Mascheroni-Konstante
Die Asymptotik gilt auch für langsam wachsendes
, genauer für
.
Stirling-Zahlen zweiter Art
Die Stirling-Zahl zweiter Art
ist die Anzahl der
-elementigen Partitionen einer
-elementigen Menge, also die Anzahl der Möglichkeiten, eine
-elementige Menge in
nichtleere disjunkte Teilmengen aufzuteilen.
ist auch die Anzahl der Möglichkeiten,
unterscheidbare Bälle auf
nicht unterscheidbare Fächer aufzuteilen, so dass mindestens ein Ball in jedem Fach liegt. Sind die Fächer unterscheidbar, so erhält man
Möglichkeiten, dies ist auch die Anzahl surjektiver Abbildungen einer
-elementigen Menge auf eine
-elementige Menge.
Beispiel
Die Menge
mit
Elementen kann auf folgende Weisen in
nichtleere disjunkte Teilmengen zerlegt werden:


Also ist
.
Eigenschaften
Es gelten die expliziten Formeln
und

mit ganzzahligen nichtnegativen
und die rekursive Formel

mit den Anfangsbedingungen
und
für
oder 
Weitere spezielle Werte sind


Folge A000392 in OEIS
Folge A001297 in OEIS
Folge A001296 in OEIS

für alle
Auch
kann als Polynom in
vom Grad
aufgefasst werden. Es hat den Leitkoeffizienten
und enthält für alle
die Faktoren n, n−1, …, n−k und für ungerade
die Faktoren (n−k)2 und (n−k+1)2. Man erhält dasselbe Stirling-Polynom
-ten Grades wie bei den Stirling-Zahlen erster Art mittels

Erzeugende Funktionen sind
und
und
und

mit der fallenden Faktoriellen
Ist
eine Primzahl, dann ist
für
durch
teilbar.[12]
Da die Bellsche Zahl
die Anzahl aller Partitionen einer
-elementigen Menge ist, gilt

Die Bernoulli-Zahl βn erhält man als die alternierende Summe

Mit Hilfe der Rekursionsformel kann man zeigen, dass für jedes
ein
existiert, so dass

und
oder
gilt. Es ist eine offene Frage, ob ein
existiert, für das der Fall
eintritt.[13]
Für jedes
ist die Folge
streng logarithmisch konkav,[11] das heißt,
für
Beziehung zwischen den Stirling-Zahlen erster und zweiter Art
Aus den Beziehungen
und 
die auch häufig zur Definition der Stirling-Zahlen zweiter und erster Art verwendet werden, folgt, dass diese die Koeffizienten von zueinander inversen linearen Transformationen sind, der Stirling-Transformation und der inversen Stirling-Transformation. Das heißt, dass die unteren Dreiecksmatrizen
und
zueinander inverse Matrizen sind:

mit dem Kronecker-Delta
für
und
für
Die Stirlingzahlen erster und zweiter Art lassen sich jeweils durch die anderen darstellen (Schlömilch 1852):[14]
und

Die Stirlingzahlen können eindeutig so auf negative ganze Indizes
und
fortgesetzt werden, dass die Rekursionsformeln
und 
allgemein gelten und
für
Man erhält die für alle ganzen Zahlen
und
gültige Dualität

die auch die beiden Rekursionsformeln ineinander überführt, außerdem
für
Setzt man in die als Polynome in
aufgefassten
und
für
negative ganze Zahlen ein, so erhält man dieselbe Fortsetzung auf negative ganze Indizes und für die Polynome die Dualität[15]

Analogie zu den Binomialkoeffizienten
Für die Binomialkoeffizienten gilt

Die Karamata-Notation betont die Analogie:
![{\displaystyle {\Bigl [}{n+1 \atop k}{\Bigr ]}={\Bigl [}{n \atop k-1}{\Bigr ]}+n\,{\Bigl [}{n \atop k}{\Bigr ]}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/4d0936fd91cb4bf344e2ce7d106fd03db34a84ae)

Entsprechend lassen sich die Stirling-Zahlen in einem Dreiecksschema ähnlich dem Pascalschen Dreieck anordnen und zeilenweise berechnen.
Dreieck für Stirling-Zahlen erster Art (erste Zeile
erste Spalte
Folge A130534 in OEIS):
1
1 1
2 3 1
6 11 6 1
24 50 35 10 1
120 274 225 85 15 1
720 1764 1624 735 175 21 1
5040 13068 13132 6769 1960 322 28 1
40320 109584 118124 67284 22449 4536 546 36 1
... ... ... ... ... ... ... ... ... 1
Dreieck für Stirling-Zahlen zweiter Art (erste Zeile
erste Spalte
Folge A008277 in OEIS):
1
1 1
1 3 1
1 7 6 1
1 15 25 10 1
1 31 90 65 15 1
1 63 301 350 140 21 1
1 127 966 1701 1050 266 28 1
1 255 3025 7770 6951 2646 462 36 1
1 ... ... ... ... ... ... ... ... 1
Als eine weitere Analogie gibt es
injektive und
surjektive Funktionen mit
-elementiger Definitions- und
-elementiger Zielmenge.[16]
Stirling-Polynome
Die im Abschnitt Stirling-Zahlen erster Art eingeführten Stirling-Polynome werden auch durch die erzeugenden Funktionen
und

beschrieben, die man durch Verallgemeinerung erzeugender Funktionen von
und
erhält. Nach einer anderen Definition werden die Polynome
und
als Stirling-Polynome bezeichnet. Die Polynome ψ0(x), ψ1(x), …, ψ6(x) sind


und spezielle Werte für
sind
und 
mit der Bernoulli-Zahl βk+1.[7] Berechnet werden können die Polynome mit den Formeln
und

mit den durch
für j ∉ {0, 1, …, k−1} und
siehe Folge A111999 in OEIS,[17]
und den durch C̅1,0 = 1, C̅k,j = 0 für j ∉ {0, 1, …, k−1} und

rekursiv definierten ganzzahligen Koeffizienten.[18] Für
erhält man
und 
Diese Berechnung von
und
ist besonders für große
und kleine
effizient.
Programmierbeispiel
Die Stirling-Zahlen lassen sich sehr einfach in einer rekursiven Methode implementieren. Beispielsweise können in Java die Stirling-Zahlen zweiter Art folgendermaßen implementiert werden.
Verlauf des Programmes:
- Wenn n = k = 0 ist, wird 1 zurückgegeben.
- Wenn n = 0 und k > 0 ist oder n > 0 und k = 0, wird 0 zurückgegeben.
- Wenn n und k beide größer als 0 sind, wird dieselbe Funktion zwei Mal in veränderter Form rekursiv aufgerufen und zurückgegeben.
- Wenn alle anderen Abfragen scheitern, heißt dass, das mindestens einer der beiden Werte negativ sein muss, und das Programm erzeugt einen Fehler.
static int stirling(int n, int k) {
if (n == 0 && k == 0) {
return 1;
} else if ((n == 0 && k > 0) || (n > 0 && k == 0)) {
return 0;
} else if (n > 0 && k > 0){
return stirling(n - 1, k - 1) + k * stirling(n - 1, k);
}
throw new IllegalArgumentException("Weder n noch k darf negativ sein.");
}
Literatur
- Niels Nielsen: Fakultäten und Fakultätenkoeffizienten, Kapitel 5 in Handbuch der Theorie der Gammafunktion, B. G. Teubner, Leipzig 1906, S. 66–78 (Umrechnung
und
; im Internet-Archiv, dito, dito; Jahrbuch-Bericht)
- Leonard Eugene Dickson: History of the theory of numbers. Volume I: Divisibility and primality, Carnegie Institution, Washington 1919, besonders S. 95–103 (englisch; Umrechnung
und
; im Internet-Archiv; Jahrbuch-Bericht)
- Károly Jordan (Charles Jordan): Stirling’s numbers, Kapitel 4 in Calculus of finite differences, Chelsea, Budapest 1939, 2. Auflage New York 1947 1960, 3. Auflage 1965 1979, ISBN 0-8284-0033-4, S. 142–229 (englisch; Umrechnung
und
)
- Milton Abramowitz, Irene A. Stegun (Hrsg.): Handbook of mathematical functions with formulas, graphs, and mathematical tables (10. Auflage), US Department of Commerce/National Bureau of Standards, 1972, S. 822, 824–825, 833–835 (englisch; bei ConvertIt.com; bei der SFU Burnaby; Zentralblatt-Rezension)
- Louis Comtet: Advanced combinatorics: the art of finite and infinite expansions, D. Reidel, Dordrecht 1974, ISBN 90-277-0441-4, S. 204–229 (englisch)
- Martin Aigner: Combinatorial Theory. Springer, Berlin 1997, ISBN 3-540-61787-6 (englisch; Neuauflage der Ausgabe von 1979; Zentralblatt-Rezension)
- Ronald L. Graham, Donald E. Knuth, Oren Patashnik: Concrete mathematics: a foundation for computer science, Addison-Wesley, Reading 1988, 2. Auflage 1994, ISBN 0-201-55802-5, S. 257–266 (englisch; Knuths Webseite zum Buch mit Errata: Concrete Mathematics, Second Edition; Zentralblatt-Rezension)
Einzelnachweise
- ↑ James Stirling: Methodus Differentialis: sive Tractatus de Summatione et Interpolatione Serierum Infinitarum, G. Strahan, Londini (London) 1730 (lateinisch; Tafel der Stirling-Zahlen zweiter Art auf S. 8, der Stirling-Zahlen erster Art auf S. 11)
- ↑ Nielsen: Fakultäten und Fakultätenkoeffizienten, 1906, S. 66–67
- ↑ Niels Nielsen: Recherches sur les polynomes et les nombres de Stirling, Annali di matematica pura ed applicata 10, 1904, S. 287–318 (französisch)
- ↑ Henry W. Gould: Noch einmal die Stirlingschen Zahlen, Jahresbericht der DMV 73, 1971/72, S. 149–152
- ↑ a b Donald E. Knuth: Two notes on notation, The American Mathematical Monthly 99, 1992, S. 403–422 (englisch; Zentralblatt-Rezension)
- ↑ Jovan Karamata: Théorèmes sur la sommabilité exponentielle et d’autres sommabilités s’y rattachant (21. Mai 1932), Mathematica (Cluj) 9, 1935, S. 164–178 (französisch; Zentralblatt-Rezension)
- ↑ a b Nielsen: Fakultäten und Fakultätenkoeffizienten, 1906, S. 72 ff.
- ↑ Comtet: Advanced combinatorics, 1974, S. 218
- ↑ Niels Nielsen: Om Potenssummer af hele Tal, Nyt Tidsskrift for Mathematik B 4, 1893, S. 1–10 (dänisch; Formel 17 auf S. 4 mit
; Jahrbuch-Bericht)
- ↑ Paul Erdős: On a conjecture of Hammersley, Journal of the London Mathematical Society 28, 1953, S. 232–236 (englisch; nur der Beweis für
ist nicht elementar; Zentralblatt-Rezension)
- ↑ a b Elliott H. Lieb: Concavity properties and a generating function for Stirling numbers, Journal of Combinatorial Theory 5, September 1968, S. 203–206 (englisch; Zentralblatt-Rezension)
- ↑ Comtet: Advanced combinatorics, 1974, S. 219
- ↑ E. Rodney Canfield, Carl Pomerance: On the problem of uniqueness for the maximum Stirling number(s) of the second kind, Integers 2, 2002, A01 (englisch; Corrigendum; Zentralblatt-Rezension)
- ↑ Oskar Schlömilch: Recherches sur les coefficients des facultés analytiques, Journal für die reine und angewandte Mathematik 44, 1852, S. 344–355 (französisch; Formel 14 auf S. 346 mit
und
)
- ↑ Ira Gessel, Richard P. Stanley: Stirling polynomials (PDF-Datei, 534 kB), Journal of combinatorial theory A 24, 1978, S. 24–33 (englisch; Zentralblatt-Rezension)
- ↑ Antal E. Fekete: Apropos Two notes on notation, The American Mathematical Monthly 101, Oktober 1994, S. 771–778 (englisch; Zentralblatt-Rezension)
- ↑ Jordan: Stirling’s numbers, 1979, S. 147–153
- ↑ Jordan: Stirling’s numbers, 1979, S. 168–173
Weblinks