Sumerische Sprache

Sumerisch (Eigenbezeichnung: 𒅮𒂠 eme-ĝir „einheimische Sprache“)

Gesprochen in

vormals in Mesopotamien
Sprecher ausgestorben
Linguistische
Klassifikation
Offizieller Status
Amtssprache in –
Sprachcodes
ISO 639-1

–

ISO 639-2

sux

ISO 639-3

sux

Die sumerische Sprache ist die Sprache des altorientalischen Kulturvolkes der Sumerer. Sie ist nach bisherigen Erkenntnissen mit keiner anderen bekannten Sprache verwandt, weswegen man sie als linguistisch isoliert bezeichnet. Dem grammatischen Bau nach handelt es sich um eine (ĂŒberwiegend suffigierende) agglutinierende Sprache. Gesprochen wurde Sumerisch in SĂŒdmesopotamien vor allem im 3. Jahrtausend v. Chr. Seine AnfĂ€nge liegen jedoch im Dunkeln. SpĂ€testens ab 2000 v. Chr. wurde es vermutlich nur noch als Zweitsprache verwendet. Ab der ausgehenden altbabylonischen Zeit im 17. Jahrhundert v. Chr. ist es dann als gesprochene Sprache gĂ€nzlich ausgestorben. Gleichwohl lebte es als Gelehrtensprache in Religion, Literatur und Wissenschaft in ganz Mesopotamien noch bis ins 1. Jahrhundert v. Chr. fort. Nach heutigem Kenntnisstand ist das Sumerische die erste Sprache, fĂŒr die eine Schrift entwickelt wurde (um 3300 v. Chr.). Ihre schriftliche Überlieferung umfasst daher einen Zeitraum von rund 3000 Jahren.

Hinweis: Bei der Schreibung der sumerischen Wörter wird auf die Angabe der Graphemvarianten (unterschiedliche Keilschriftzeichen) verzichtet und stattdessen eine normalisierte Form ohne Akzente und Indizes verwendet (so auch Zólyomi 2005). Diese Darstellungsform erleichtert Nicht-Keilschriftkundigen wesentlich das VerstÀndnis der linguistischen Aspekte, um die es hier vor allem geht.

Sumerisch – eine isolierte altorientalische Sprache

Die Àlteste Schriftsprache

Eine sumerische Monumentalinschrift aus dem 26. Jahrhundert v. Chr.

SpĂ€testens seit etwa 3500 v. Chr. spielten die Sumerer in SĂŒdmesopotamien eine entscheidende Rolle beim Übergang zur Hochkultur, insbesondere auch bei der Entwicklung einer fĂŒr Wirtschaft und Verwaltung brauchbaren Schrift etwa um 3200 v. Chr. (Funde in Uruk IVa). Dies ist weltweit die Ă€lteste Schriftentwicklung, nur die ersten Ă€gyptischen Hieroglyphen reichen an das Alter der sumerischen Schrift heran. Ob es zwischen den beiden mit Abstand Ă€ltesten Schriftsystemen eine Beziehung gab, ist eine bisher ungeklĂ€rte Frage der Ägyptologie und Altorientalistik.

Um 3200 v. Chr. ging man dazu ĂŒber, die Muster, die auf tönernen ZĂ€hlmarken eingeritzt waren, in grĂ¶ĂŸere Tonklumpen zu ritzen und mit zusĂ€tzlichen Zeichen zu versehen. Aus dieser archaischen Form entwickelte sich in wenigen Jahrhunderten die mesopotamische Keilschrift zur vollen BlĂŒte – so benannt nach der Form ihrer Zeichen, die durch das EindrĂŒcken eines kantigen Griffels in den weichen Ton entstanden. Sie ist auf Tontafeln und anderen TrĂ€gern wie Statuen und GebĂ€uden erhalten, die bei archĂ€ologischen Grabungen in Mesopotamien entdeckt wurden. Diese Schrift adaptierten die Akkader, Babylonier, Assyrer, Eblaiter, Elamiter, Hethiter, Hurriter und UrartĂ€er jeweils fĂŒr ihre eigene Sprache.

UrsprĂŒnglich wurde die sumerische Keilschrift als ideographische oder logographische Schrift entwickelt. Jedes Zeichen entsprach einem Wort, und diese Zeichen ließen zunĂ€chst noch gut erkennen, welcher Begriff gemeint war. Im Laufe weniger Jahrhunderte entwickelte man nach dem Rebus-Prinzip zusĂ€tzlich eine Form der Silbendarstellung, bei der vielen Zeichen ein oder mehrere phonetische Silbenwerte (meist V, KV, VK, KVK) zugeordnet wurden (V fĂŒr Vokal, K fĂŒr Konsonant). Es entwickelte sich eine logographisch-phonologische Schrift.

Am Beispiel des folgenden kurzen Textes, einer Backsteininschrift des StadtfĂŒrsten Gudea von LagaĆĄ (um 2130 v. Chr.), sollen die Begriffe der Transliteration der Keilschrift und deren Zerlegung bei der grammatikalischen Analyse illustriert werden.

Keilschrift
Transliteration diĝir inana nin-kur-kur-ra nin-a-ni
Analyse dInana nin+kur+kur+ak nin+ani+[ra]
Glossierung Inana Herrin-Land-Land-GENITIV Herrin-seiner-[DATIV]
gu3-de2-a pa.te.si ĆĄir.bur.la ki
Gudea ensi2 Lagaski
Gudea StadtfĂŒrst von-Lagas
ur-diĝir-ĝa2-tum3-du10-ke4
ur+dĜatumdu+ak+e
Held(?)-der-Ĝatumdu(Ergativ)
e2-ĝir2-su.ki.ka-ni mu-na-du3
e2+Ĝirsuki+ak+ani mu+na+n+du3
seinen-Tempel-von-Ĝirsu hat-er-ihr-gebaut

Bemerkungen: diĝir und ki sind hier Determinative, sie werden bei der Analyse hochgestellt; pa.te.si und ơir.bur.la sind diri-Komposita.

Übersetzung: FĂŒr Inanna, die Herrin aller LĂ€nder, seine Herrin, hat Gudea, der StadtfĂŒrst von LagaĆĄ und Held (unsicher) der Ĝatumdu, sein Haus von Ĝirsu gebaut.

Die sumerische Schrift und Fragen der Transkription und Transliteration werden in diesem Artikel nicht weiter behandelt; es wird auf den Artikel Keilschrift verwiesen.

Die sumerisch-akkadische Koexistenz

Im gesamten 3. Jahrtausend spielte das Sumerische in SĂŒdmesopotamien die Hauptrolle – unterbrochen nur in der Zeit des semitischen Reichs von Akkad (2350–2200 v. Chr.). Die Sumerer mussten sich allerdings seit etwa 2600 v. Chr. zunehmend mit semitischer Konkurrenz (den Akkadern, zuerst im Norden Mesopotamiens) auseinandersetzen, wobei man weniger von einer feindseligen Position der beiden Bevölkerungsgruppen ausgehen sollte als von einem weitgehend friedlich verlaufenden Assimilations- und Integrationsprozess, der letztlich zu einer Koexistenz dieser Völker und ihrer Sprachen fĂŒhrte (das sumerisch-akkadische linguistische Konvergenzgebiet mit wechselseitiger sprachlicher Beeinflussung; siehe Edzard (2003)). SpĂ€testens seit 2000 v. Chr. – nach anderen schon in der Ur-III-Zeit[1] – verlor das Sumerische als gesprochene Sprache langsam seine Bedeutung, das sumerische ethnische Element ging nach und nach ganz in der – auch durch weitere Zuwanderungen – wachsenden semitischen Bevölkerung auf. Um 1700 v. Chr., spĂ€testens 1600 v. Chr., endete das Sumerische als gesprochene Sprache. Als Sprache des Kults, der Wissenschaft, Literatur und offiziellen Königsinschriften fand es noch lange Verwendung. Die letzten sumerischen Texte stammen aus der Endphase der Keilschriftepoche (um 100 v. Chr.).

Sprachperioden und Textarten

Man teilt die dreitausendjÀhrige Sprachgeschichte des Sumerischen in folgende Perioden:

  1. Archaisches Sumerisch oder FrĂŒhsumerisch 3100–2600 v. Chr. Aus dieser Periode stammen fast nur Wirtschafts- und Verwaltungstexte, Funde hauptsĂ€chlich aus Uruk (Phase IVa und III) und Ć uruppak. Aus der Dschemdet-Nasr-Zeit gibt es einige Rechtsurkunden und literarische Kompositionen in archaischer Form. Da die grammatischen Elemente – Markierungen grammatischer Funktionen bei Nomen und Verb – nur vereinzelt geschrieben wurden, tragen die Texte wenig zur Erhellung der grammatischen Struktur des Sumerischen bei.
  2. Altsumerisch 2600–2150 v. Chr. Überwiegend Wirtschafts- und Verwaltungstexte, schon erste lĂ€ngere Königsinschriften, vereinzelte literarische Texte. Hauptfundort ist LagaĆĄ. Die Texte dieser Phase geben schon einigen Aufschluss ĂŒber die sumerische Grammatik. Nach der Zeit des semitisch geprĂ€gten Akkadischen Reiches (2350–2200 v. Chr.), das mit einem starken RĂŒckgang des sumerischen Materials einherging, kam es zur sumerischen Renaissance.
  3. Neusumerisch 2150–2000 v. Chr. Die grĂ¶ĂŸte Funddichte aus der Zeit der III. Dynastie von Ur (Ur-III-Zeit), zahllose Wirtschaftstexte aus LagaĆĄ, Umma und Ur. Etliche Rechts- und Prozessurkunden wurden ĂŒberliefert. Von zentraler Bedeutung sind die umfangreichen, auf Zylindern ĂŒberlieferten Bauhymnen des Ensis Gudea von LagaĆĄ (um 2130 v. Chr.), die eine grundlegende grammatische Analyse des Sumerischen erlaubten (A. Falkenstein (1949/78)).
  4. SpĂ€tsumerisch 2000–1700 v. Chr. Nutzung des Sumerischen noch als gesprochene Sprache in Teilen SĂŒdmesopotamiens (Raum Nippur), vor allem aber intensiv als Schriftsprache fĂŒr Gesetzes- und Verwaltungstexte und königliche Inschriften (oft zweisprachig sumerisch-akkadisch). Viele literarische Werke, die aus Ă€lteren Zeiten mĂŒndlich ĂŒberliefert worden waren, fanden in dieser Zeit erstmals ihre sumerische Schriftform, darunter auch die sumerische Fassung einiger Teile des bekannten Gilgamesch-Epos.
  5. Nachsumerisch 1700–100 v. Chr. Das Sumerische wurde nicht mehr als gesprochene Sprache genutzt und auch als Schriftsprache weitgehend vom Akkadischen (Babylonischen im SĂŒden, Assyrischen im Norden Mesopotamiens) verdrĂ€ngt, es spielte nur noch die Rolle einer Gelehrten-, Kult- und Literatursprache. Deren langanhaltende Bedeutung zeigt aber die Tatsache, dass sich noch im 7. Jahrhundert v. Chr. der assyrische König AĆĄĆĄur-bāni-apli damit hervortut, sumerische Texte lesen zu können. Aus der nachsumerischen Zeit stammt auch ein großer Teil der zweisprachigen lexikalischen Listen (akkadisch-sumerisch), die im 19. Jahrhundert einen Zugang zur sumerischen Sprache erst ermöglichten.

Dialekte und Soziolekte

Obwohl ein spĂ€ter lexikalischer Text eine Reihe von Dialekten (besser: Soziolekten) des Sumerischen auflistet, bleibt doch neben der Normalsprache eme-gi(r) nur der Soziolekt eme-sal greifbar, zudem nur in spĂ€tsumerischer literarischer Überlieferung. Diese Sprachform wurde hauptsĂ€chlich dann verwandt, wenn in literarischen Texten weibliche Wesen zu Wort kommen, wĂ€hrend erzĂ€hlende Teile und die Reden der MĂ€nner in der Normalsprache geschrieben sind. Die Hauptunterschiede zur Normalsprache sind eine teilweise lautliche Umgestaltung der Wortwurzeln und morphologischen Bildungselemente, aber auch der Gebrauch nicht im Hauptdialekt vorkommender Wörter (zum Beispiel mu-ud-na statt nital „Gemahl“, mu-tin statt ki-sikil „Jungfrau“).

Karte der wichtigen StÀdte von Sumer und Elam
Sumer und Elam zur Zeit des Königs Lugal-Zagesi 2375–2347 v. Chr.

Die Wiederentdeckung des Sumerischen

Jules Oppert

Um die Zeitenwende ging jede Kenntnis des Sumerischen und der Keilschrift verloren. Im Gegensatz zu den Assyrern, Babyloniern und Ägyptern, deren Wirken in der Geschichtsschreibung des klassischen Altertums breit dokumentiert ist, gibt es in diesen Berichten keinen Hinweis auf die Existenz der Sumerer. Mit der Entzifferung der Keilschrift seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts wurden zunĂ€chst drei Sprachen entdeckt: das semitische Akkadische (in seiner babylonischen Form), das indogermanische Altpersische und das Elamische (eine isolierte Sprache im SĂŒdwesten des heutigen Irans). Erst spĂ€ter erkannte man unter den babylonischen Texten eine vierte Sprache, die Jules Oppert 1869 als erster als „Sumerisch“ (nach akkadisch ĆĄumeru) bezeichnete. Die Selbstbezeichnung der Sumerer fĂŒr ihre Sprache war eme-gi(r), was vielleicht „einheimische Sprache“ bedeutet; ihr Land nannten sie kengir. Existenz und Benennung der Sprache waren jedoch noch lĂ€ngere Zeit umstritten und konnten erst 20 Jahre spĂ€ter nach Funden von bilingualen Texten in Ninive sowie durch die reichlichen Textfunde in LagaĆĄ durch die ArchĂ€ologen Ernest de Sarzec und LĂ©on Heuzey von François Thureau-Dangin einwandfrei belegt werden. Letzterer erschloss die sumerische Sprache schließlich mit seinem Werk „Die sumerischen und akkadischen Königsinschriften“ (1907) fĂŒr die wissenschaftliche Erforschung.

Beziehungen zu anderen Sprachen

Es gab zahlreiche Versuche, das Sumerische mit anderen Sprachen oder Sprachfamilien in eine Verwandtschaftsbeziehung zu setzen. Keiner dieser VorschlĂ€ge konnte die Fachwelt bisher ĂŒberzeugen. Somit wird das Sumerische weiterhin mehrheitlich als isolierte Sprache betrachtet. Wenn es in prĂ€historischer Zeit mit dem Sumerischen verwandte Sprachen gegeben haben sollte, so sind sie nicht schriftlich fixiert worden und somit fĂŒr einen Vergleich verloren.

Sumerisch als eine Sprache in der Dene-Kaukasischen Makrofamilie

In der aktuellen Diskussion ĂŒber Makrofamilien gilt das Sumerische fĂŒr einige Forscher, so John D. Bengtson (1997)[2][3], als ein Kandidat fĂŒr die dene-kaukasische Makrofamilie, die das Sinotibetische, die nordkaukasischen, die jenisseischen und die Na-DenĂ©-Sprachen umfasst, zusĂ€tzlich werden die sonst als isoliert betrachteten Sprachen Burushaski, Baskisch und eben Sumerisch hinzugerechnet.

VorgÀnger und Nachbarn der Sumerer

Ob die Sumerer in SĂŒdmesopotamien autochthon oder – vielleicht im Laufe des 4. Jahrtausends – zugewandert sind, lĂ€sst sich bis heute nicht sicher entscheiden. Es ist sehr schwierig, ein eventuelles Auftreten der Sumerer in SĂŒdmesopotamien mit bestimmten archĂ€ologischen Horizonten oder Entwicklungen in Zusammenhang zu bringen. Die Ă€ltere sumerische Sprachforschung (zum Beispiel Falkenstein) ging davon aus, dass die Sumerer in SĂŒdmesopotamien nicht autochthon waren, sondern erst im 4. Jahrtausend dorthin eingewandert sind und eine dort ansĂ€ssige Vorbevölkerung ĂŒberlagert haben. Das wurde an einem sog. vorsumerischen Sprachsubstrat (manchmal „protoeuphratisch“ genannt) festgemacht. Aus dieser Schicht sollten die nicht sumerisch erklĂ€rbaren StĂ€dtenamen wie Ur, Uruk (Unug), Larsa und LagaĆĄ, Götternamen wie NanĆĄe und Gatumdu, aber auch landwirtschaftliche Begriffe wie apin „Pflug“, engar „PflĂŒger“, uluĆĄin „Emmerbier“, nimbar „Dattelbaum“, nukarib „GĂ€rtner“, taskarin „Buchsbaum“ und Bezeichnungen aus dem Bereich der Metallverarbeitung wie simug „Schmied“ und tibira „Metallarbeiter“ stammen, was natĂŒrlich fĂŒr den Kulturstand der Sumerer bei Zuwanderung nach Mesopotamien einige Fragen aufwirft.

Heute wird eine „vorsumerische“ Interpretation der oben genannten Beispiele keineswegs als sicher betrachtet, da es an der genauen Kenntnis fehlt, wie ein „sumerisches“ oder ein „nichtsumerisches“ Wort etwa in der ersten HĂ€lfte des 3. Jahrtausends ausgesehen haben mag. Insbesondere galten in der frĂŒhen Forschung mehrsilbige Wörter als „unsumerisch“, was von anderen Autoren aber als ungeeignetes Kriterium angesehen wird. Sowjetische Forscher (wie Igor Michailowitsch Djakonow und Wladislaw Ardsinba) stellten auch die Hypothese auf, dass charakteristisch silbenreduplizierende Wörter (daher die Bezeichnung „Bananen-Sprache“, nach der charakteristischen Reduplikation im englischen Wort banana) aus der unbekannten, Ă€lteren Substratsprache stammten, die als Entlehnungen im Sumerischen erhalten geblieben seien.[4] Dazu G. Rubio (1999): „Es gibt kein einheitliches Substrat, das seine Spuren im sumerischen Lexikon hinterlassen hĂ€tte. Alles was man entdecken kann, ist ein komplexes Netz von Entlehnungen, deren Richtung man oft schwer bestimmen kann.“ Gordon Whittaker (2008)[5] geht allerdings davon aus, dass im Sumerischen ein Substrat zu sehen ist, das er als indogermanisch einordnet.

Mit den schon erwĂ€hnten semitischen Akkadern gingen die Sumerer nach und nach eine Symbiose ein, die natĂŒrlich auch wechselseitige Auswirkungen auf die beiden Sprachen hatte. Dies betrifft die Wortstellung im Satz, Phonetik, das Kasussystem, vor allem wechselseitige Wortentlehnungen: etwa 7 % des akkadischen Wortschatzes sind Entlehnungen aus dem Sumerischen, aber auch das Sumerische besaß in den spĂ€teren Perioden einen drei- bis vierprozentigen akkadischen Anteil (Edzard (2003)).

Daneben sind vor allem noch die Elamiter im Gebiet Chusistan am persischen Golf zu erwĂ€hnen (heute SĂŒdwestiran), deren Kultur und Wirtschaft schon seit Beginn des 3. Jahrtausends von der sumerischen Hochkultur beeinflusst wurde. Dies hatte auch Auswirkungen auf die elamischen Schriftsysteme, da neben Eigenentwicklungen auch Schriftformen Mesopotamiens ĂŒbernommen und adaptiert wurden. Ein umgekehrter Einfluss von Elam auf Sumer ist kaum nachweisbar.

Ein Einfluss auf die sumerische Sprache durch „Fremdvölker“ – LulubĂ€er, GutĂ€er und andere, die Sumer phasenweise im 3. Jahrtausend beherrschten – ist ebenfalls nicht greifbar, schon deswegen nicht, weil die Sprachen dieser Ethnien so gut wie unbekannt sind.

Sprachtypus

Vorbemerkung

Diese Kurzdarstellung der sumerischen Sprache konzentriert sich auf die Nominal- und Verbalmorphologie, es werden nur die grammatischen StandardphÀnomene behandelt, auf Ausnahmen und SonderfÀlle wird nur vereinzelt hingewiesen. Die Darstellung basiert vor allem auf den Grammatiken von D. O. Edzard (2003) und G. Zólyomi (2005).

Bei der Darstellung der sumerischen Formen wird auf die Angabe der Graphemvarianten (unterschiedliche Keilschriftzeichen) verzichtet und stattdessen eine normalisierte Form ohne Akzente, Indizes und phonetische Supplemente verwendet (so auch Zólyomi 2005). Diese Methode erleichtert Nicht-Keilschriftkundigen wesentlich das VerstÀndnis der linguistischen Aspekte, um die es hier vor allem geht.

Grammatischer Bau

Das Sumerische kann man kurz als agglutinierende Split-Ergativsprache mit grammatischem Geschlecht (Personen- und Sachklasse) charakterisieren. (Split-ErgativitĂ€t bedeutet, dass die Ergativkonstruktion – sie wird unten erklĂ€rt – nicht durchgehend verwendet wird, sondern in bestimmten ZusammenhĂ€ngen auch die von europĂ€ischen Sprachen bekannte Nominativ-Akkusativ-Konstruktion vorkommt.) Das Verb steht am Satzende, die Position der anderen Satzglieder hĂ€ngt von verschiedenen Faktoren ab, Nominal- und Verbalphrase sind eng verzahnt.

Es gibt keine AusprĂ€gung der Wortarten Substantiv versus Verb, dieselben StĂ€mme (Wurzeln) – viele sind einsilbig – können fĂŒr beide Funktionen genutzt werden. Zum Beispiel heißt dug sowohl „Rede“ als auch „sprechen“. Die jeweilige Funktion wird an den Funktionsmarkern (Morpheme, die grammatische Funktionen markieren) und der Stellung im Satz deutlich, die StĂ€mme bleiben unverĂ€ndert. Es gibt insbesondere keine Infixe (wie zum Beispiel im Akkadischen).

Schwierigkeiten der Bestimmung von Laut- und Formeninventar

Die Mehrdeutigkeit (Homophonie) vieler Silben der fĂŒr das Sumerische verwendeten Keilschrift könnte vermuten lassen, dass das Sumerische eine Tonsprache war, bei der unterschiedliche Tonhöhen bedeutungsdifferenzierend wirkten. Allerdings spricht dagegen, dass es in Vorderasien sonst keine Tonsprachen gibt. Es kann auch sein, dass ein grĂ¶ĂŸerer Phonemreichtum als der heute aus der Schrift rekonstruierbare von den Defiziten dieses Schriftsystems ĂŒberdeckt wird.

Da das Sumerische lange ausgestorben ist und in einem oft nicht eindeutig interpretierbaren Schriftsystem ĂŒberliefert wurde, lassen sich Phonologie und Morphologie nur nĂ€herungsweise beschreiben, was auch erklĂ€ren kann, warum es immer noch sehr unterschiedliche Theorien ĂŒber die Verbalmorphologie (insbesondere das PrĂ€fixsystem des finiten Verbs) gibt.

Phoneme

Das Phoneminventar ist – soweit aus der Schrift erkennbar – recht einfach. Den vier Vokalen /a e i u/ stehen 16 Konsonanten gegenĂŒber:

Transliteration b d g   p t k   z s ĆĄ áž«   r r̂ l m n ĝ
Aussprache p t k   pÊ° tÊ° kÊ°   ÊŠ s ʃ x   r (?) l m n Ƌ

Das Phonem /r̂/ (oder auch /dr/) wird von B. Jagersma und G. ZĂłlyomi als aspirierte dentale Affrikate [ÊŠÊ°] gelesen. Da es in akkadischen Lehnwörtern als [r] erscheint, ist diese Analyse strittig.

Viele Wissenschaftler (u. a. Edzard (2003)) gehen von der Existenz eines /h/-Phonems aus. Dessen genaue Aussprache, ob laryngal oder pharyngal, ist jedoch ebenso ungeklÀrt wie die Frage nach weiteren Phonemen.

Nominalmorphologie

Personen- und Sachklasse

Das Sumerische besitzt ein grammatisches Geschlecht, das eine „Personenklasse“ (AbkĂŒrzung PK oder HUM) und eine „Sachklasse“, genauer „Nicht-Personenklasse“ (AbkĂŒrzung SK oder NONHUM), unterscheidet. Tiere gehören in der Regel zur „Sachklasse“. Dieses Zweiklassensystem hat Auswirkungen unter anderem bei der Konjugation und Pluralbildung. Das grammatische Geschlecht ist einem Wort nicht formal anzusehen.

Pluralbildung

Das Sumerische hat zwei Numeri, den unmarkierten Singular und einen Plural. Der Plural wird nur bei den Nomina der Personenklasse markiert, der Pluralmarker (Morphem zur Markierung des Plurals) ist fakultativ und lautet /-ene/, nach Vokalen /-ne/. Bei Zahlattributen entfÀllt die Markierung, bei Nomina der Sachklasse bleibt der Plural unmarkiert.

Der Plural kann – auch zusĂ€tzlich zum Marker – durch Doppelsetzung des Substantivs oder des nachgestellten Adjektivattributs gebildet werden. Bei Nomina der Sachklasse kann das Attribut -hi.a (eigentlich Partizip von hi „mischen“) die Funktion einer Pluralisierung ĂŒbernehmen.

Beispiele zur Pluralbildung

Sumerisch Deutsch
diĝir-ene die Götter (PK)
lugal-ene die Könige (PK)
lugal-umun sieben Könige (Marker entfÀllt, da Zahlwort vorhanden)
bad die Mauer (sg), die Mauern (pl) (SK, daher ohne Kennzeichnung)
du-du die Worte, alle Worte (Totalisierung)
kur-kur die Berge, FremdlÀnder; alle Berge, FremdlÀnder
ĆĄu-ĆĄu die HĂ€nde
a-gal-gal die großen (gal) Wasser (a)
udu-hi-a verschiedene Schafe (SK)

ErgativitÀt

Das Sumerische ist eine Ergativsprache. Es besitzt also unterschiedliche Kasus fĂŒr das Agens (das Subjekt) des transitiven Verbums und das Subjekt des intransitiven Verbums. Der erste Kasus heißt Ergativ, der zweite Absolutiv, er wird zusĂ€tzlich fĂŒr das Objekt (das Patiens) transitiver Verben benutzt.

  • Ergativ > Agens (Subjekt) transitiver Verben
  • Absolutiv > Subjekt intransitiver Verben und direktes Objekt (Patiens) transitiver Verben

Beispiele zur Ergativkonstruktion (die Verbformen werden im Abschnitt Verbalmorphologie erklÀrt)

Sumerisch Deutsch ErlÀuterung
lugal-Ø mu-ĝen-Ø der König (lugal) kam (mu-ĝen) intransitives Verb: Subjekt (lugal) im Absolutiv
lugal-e bad-Ø i-n-sig-Ø der König riss (i-n-sig-Ø) die Mauer (bad) nieder transit. Verb: Agens (lugal-e) im Ergativ, Obj. (bad) im Absolutiv

Da im Sumerischen nicht durchgehend diese Ergativkonstruktion, sondern teilweise auch die Nominativ-Akkusativ-Konstruktion verwendet wird, spricht man von „gespaltener ErgativitĂ€t“ oder „Split-ErgativitĂ€t“.

Ergativische Konstruktion und Nominativ-Akkusativ-Konstruktion im Vergleich

Subj. transit. Verb Subj. intrans. Verb Obj. transit. Verb
Ergativ-Absolutiv-Schema Ergativ Absolutiv Absolutiv
Nominativ-Akkusativ-Schema Nominativ Nominativ Akkusativ

Kasusbildung

Der Kasus wird im Sumerischen sowohl am Nomen (durch Suffixe) als auch am Verb (durch PrĂ€fixe) markiert; dieses PhĂ€nomen wird in der Linguistik als „double marking“ bezeichnet. In der Ă€lteren Forschung wurden die Kasus allein anhand der nominalen Markierung definiert. Dadurch kommt man auf eine Zahl von neun Kasus, wovon die Nomina der Personenklasse sieben und die der Sachklasse acht ausbilden. Die Kasusmarker (Morpheme zur Markierung der Kasus) sind im Singular und Plural identisch und stehen am Ende einer Nominalphrase (siehe unten), insbesondere hinter dem Pluralmarker /-ene/.

Die Kasusmarkierung mittels VerbalprÀformativen wird durch PhÀnomene von Kontraktionsregeln im Zusammenspiel mit den Auswirkungen der Silbenschrift kompliziert, die die Kasusmarker teilweise sehr stark verÀndern. Darauf kann hier nicht im Detail eingegangen werden (vgl. Falkenstein 1978, Edzard 2003), zumal gerade in diesem Bereich die grammatische Erforschung des Sumerischen noch ziemlich im Fluss ist.

Nach einer neueren, unter anderem von ZĂłlyomi vertretenen Auffassung (vgl. ZĂłlyomi 2004 Weblink) sind fĂŒr die Definition des Kasus im Sumerischen die nominale und die verbale Markierung gleichermaßen heranzuziehen. Ein Kasus wĂ€re danach jede vorkommende Kombination eines der nominalen Marker mit einem der verbalen Marker. Nach dieser ZĂ€hlweise ergibt sich fĂŒr die Gesamtzahl der sumerischen Kasus eine deutlich höhere Anzahl als neun.

Die nominalen Kasusmarkierungen der Nomina lugal „König“ und ĝeĆĄ „Baum“ lauten wie folgt:

Beispiel: Deklination durch Kasusmarker

Kasus lugal ĝeơ Funktion/ Bedeutung
Absolutiv lugal-Ø ĝeơ-Ø Subjekt intrans. Verben / dir. Obj. transit. Verben
Ergativ lugal-e (ĝeơ-e) Agens (Subjekt) transitiver Verben (fast ausschließlich PK)
Genitiv lugal-ak ĝeĆĄ-ak des Königs/Baums
Äquativ lugal-gin ĝeĆĄ-gin wie ein König/Baum
Dativ lugal-ra - fĂŒr den König (nur PK)
Direktiv - ĝeơ-e hin zu dem Baum (nur SK)
Terminativ lugal-ĆĄe ĝeĆĄ-ĆĄe in Richtung des Königs/Baums
Komitativ lugal-da ĝeĆĄ-da zusammen mit dem König/Baum
Lokativ - ĝeơ-a bei dem Baum (nur SK)
Ablativ - ĝeơ-ta vom Baum her (nur SK)
Plural lugal-ene-ra - fĂŒr die Könige (Kasusmarker nach dem Pluralmarker)

Das Genitivattribut folgt in der Regel seinem Regens (Bestimmungswort), also

  • z. B.   dumu-an-ak   „die Tochter (dumu) des (Himmelsgottes) An“

Enklitische Possessiv-Pronomina

Konstruktionen wie „meine Mutter“ werden im Sumerischen durch pronominale possessive Enklitika ausgedrĂŒckt. Diese Enklitika lauten:

1. Person 2. Person 3. Person
Singular -ĝu -zu (-a-)ni (PK), -bi (SK)
Plural -me -zu-ne-ne (-a)-ne-ne

Beispiele zur Possessivbildung

Sumerisch Deutsch
ama-zu deine Mutter
dub-ba-ni seine / ihre Schreibtafel
ama-za(-k) deiner Mutter (Genitiv)
dub-ba-ni-ĆĄe zu seiner / ihrer Tafel

Die Beispiele zeigen, dass das possessive Enklitikon vor dem Kasusmarker steht. -zu wird zum Beispiel vor /a/ zu -za (3. Beispiel).

Nominalphrasen

FĂŒr alle Nominalphrasen (in der Sumerologie auch Nominalketten genannt) gibt es eine genau festgelegte Positionsfolge. Die Reihenfolge lautet:

  • 1 Phrasenkopf + 2 attributive Adjektive oder Partizipien + 3 Numeralia + 4 Genitivattribute + 5 RelativsĂ€tze + 6 Possessor +
  • 7 Pluralmarker + 8 Appositionen + 9 Kasusmarker

NatĂŒrlich mĂŒssen nicht alle Positionen belegt sein. Die Positionen (2), (4), (5) und (8) können ihrerseits durch komplexe Phrasen besetzt werden, so dass sich mehrfache Schachtelungen und sehr komplexe Konstruktionen ergeben können.

Die einzelnen Positionen einer Nominalphrase können wie folgt besetzt sein:

Pos Bezeichnung Besetzungsmöglichkeiten
1 Kopf Nomina, Komposita, Pronomina; nominalisierte infinite Verbformen
2 Adjektive/Partizipien Adjektive; infinite Verbformen (attributiv gebraucht)
3 Numeralia Zahlwörter; (wenn diese Position besetzt ist, muss Position 7 leer bleiben)
4 Genitivattribute Nominalphrasen mit Genitiv-Kasusmarker (siehe oben)
5 RelativsÀtze finite SÀtze mit subordinierter (abhÀngiger) Verbform
6 Possessor possessive pronominale Enklitika (siehe oben)
7 Pluralmarker Pluralmarker /-ene/ (nur wenn der Kopf der PK angehört und nicht durch Zahlen erweitert wird)
8 Appositionen Nominalphrasen, die ihrerseits aus den Positionen 1 bis 7 bestehen können
9 Kasusmarker Kasusmarker (siehe oben „Kasusbildung“)

ZusĂ€tzlich ist eine sog. „antizipatorische Genitivkonstruktion“ möglich, bei der die Genitivphrase (Position 4) der ĂŒbrigen Nominalphrase vorausgeht, aber durch ein resumptives Possessivpronomen (in Position 6) wiederholt wird. Ein Beispiel hierfĂŒr ist Beispiel 11 in der folgenden Übersicht.

Beispiele sumerischer Nominalketten

Die Ziffern vor den Konstituenten beziehen sich auf die Position in der Kette. Man beachte die Schachtelungen [
].

Bsp. Sumerisch Analyse / Übersetzung
1 dumu saĝ An-ak 1 Tochter + 2 erstgeborene + 4 [1 An + 9 GEN]
    „die erstgeborene Tochter des An“
2 ama-ani-ra 1 Mutter + 6 POSS + 9 DAT
    „fĂŒr seine Mutter“
3 e libir-eĆĄ 1 Haus + 2 alt + 9 TERM
    „zum alten Haus“
4 sipa anĆĄe-ak-ani 1 Hirte + 4 [1 Esel + 9 GEN] + 6 POSS
    „sein Hirte des Esels“ = „sein Eselshirte“
5 bad LagaĆĄki-ak-a 1 Mauer(n) + 4 [1 LagaĆĄOrt + 9 GEN] + 9 LOK
    „in den Mauern von Lagaơ“ (Plural nicht gekennzeichnet)
6 e inr̂u-a-a 1 Haus + 5 [er hat gebaut + SUBORD (-a)] + 9 LOK
    „in dem Haus, das er gebaut hat“
7 dumudEnlil-ak-ak 1 [1 Sohn + 4 [1GottEnlil + 9 GEN]] + 9 GEN
    „des Sohnes des (Gottes) Enlil“
8 ama dumu zid-ani-ene-ak-ra 1 Mutter + 4 [1 Sohn + 2 wahr + 6 sein + 7 PL + 9 GEN] + 9 DAT
    „fĂŒr die Mutter seiner wahren (d. h. legitimen) Söhne“
9 ama dumu zid lugal-ak-ene-ak-ra 1 Mutter + 4 [1 Sohn + 2 wahr + 4 {1 König + 9 GEN} + 7 PL + 9 GEN] + 9 DAT
    „fĂŒr die Mutter der wahren (= legitimen) Söhne des Königs“
10 kaskal lu du-bi nu-gi-gi-ed-e 1 Pfad + 2 [1 Mann + 2 gehen (Partizip PrĂ€s.-Fut.) + 7 sein (bezogen auf den Pfad)] + nicht (nu-)-zurĂŒckkehren (gi-gi)-Partizip PrĂ€s./Fut. (-ed) + 9 DIR (-e)
    „auf einen Pfad, von dem jemand, der ihn geht, nicht zurĂŒckkehrt“
11 lugal-ak dumu-ani-ra (antizipatorische Genitivkonstruktion) 4 [1 König + 9 GEN] + 1 Sohn + 6 sein (bez. auf den König) + 9 DAT
    „fĂŒr den Sohn des Königs“ (mit besonderer Betonung des „Königs“)

Die Beispiele lassen erkennen, wie komplex geschachtelte Nominalketten werden können. Die hohe Regelhaftigkeit der Reihung erleichtert allerdings die Interpretation.

Nominalphrasenstruktur anderer Sprachen zum Vergleich

Bsp Sprache Nominalphrase Analyse Übersetzung
1 Sumerisch ĆĄeĆĄ-ĝu-ene-ra Bruder – POSS – PL – KASUS fĂŒr meine BrĂŒder
2 TĂŒrkisch kardeƟ-ler-im-e Bruder – PL – POSS – KASUS fĂŒr meine BrĂŒder
3 Mongolisch minu aqa-nar-dur POSS – Bruder – PL – KASUS fĂŒr meine BrĂŒder
4 Ungarisch barĂĄt-ai-m-nak Freund – PL – POSS – KASUS fĂŒr meine Freunde
5 Finnisch talo-i-ssa-ni Haus – PL – KASUS – POSS in meinen HĂ€usern
6 Burushaski u-mi-tsaro-alar POSS – Mutter – PL – KASUS zu ihren (3.pl.) MĂŒttern
7 Baskisch zahagi berri-etan Schlauch – neu – PL+KASUS in den neuen SchlĂ€uchen
8 Quechua wawqi-y-kuna-paq Bruder – POSS – PL – KASUS fĂŒr meine BrĂŒder

Diese Beispiele (Nr. 1–5 sind aus Edzard 2003) zeigen, dass bei agglutinierenden Sprachen sehr unterschiedliche Typen von Nominalphrasen möglich sind, was die Reihenfolge ihrer Elemente betrifft. Bei allen genannten und den meisten anderen agglutinierenden Sprachen gilt aber, dass die Reihenfolge der Morpheme einer festen Regel unterworfen ist.

SelbstÀndige Personalpronomina

Das selbstÀndige Personalpronomen lautet im Sumerischen:

Singular Plural
1. Person ĝe ich    
2. Person ze du    
3. Person ane, ene er, sie, es anene, enene sie (pl.)

Die 1. und 2. Person Plural wird durch umschreibende Konstruktionen ersetzt. Das selbstÀndige Personalpronomen besitzt keine Ergativform, hat also dieselbe Form als Subjekt transitiver und intransitiver Verben. Dies ist ein Grund, im Sumerischen von Split-ErgativitÀt zu sprechen.

Verbalmorphologie

Die Konstruktion des finiten sumerischen Verbums ist Ă€ußerst komplex, da außer den ĂŒblichen Tempus-Subjekt-Kennzeichnungen modale Differenzierungen, Hinweise auf die Richtung der Handlung, RĂŒckverweise auf die Nominalphrase und pronominale Objekte der Handlung in der Verbalform unterzubringen sind. Man kann also im Sumerischen von einer polysynthetischen Verbalbildung reden. (Die Grundstruktur der sumerischen Verbalform hat typologisch große Ähnlichkeit mit der Verbalkonstruktion im Burushaski. Die Verteilung der Funktionen der pronominalen Suffixe und PrĂ€fixe bei transitiven und intransitiven Verben ist fast identisch. Allerdings ist das Tempussystem des Sumerischen wesentlich einfacher.)

Ähnlich wie bei der Nominalkette (siehe oben) ist die Position der jeweiligen Morpheme exakt festgelegt. Schwierigkeiten macht die praktische Analyse dennoch, da umfangreiche Kontraktions- und Assimilationsregeln und graphische Besonderheiten zu beachten sind. Viele „schwache“ Formantien wie /-e-/ können auch einfach entfallen.

Die Darstellung der Verbalmorphologie folgt ZĂłlyomi 2005.

Die 14 Positionen oder Slots einer sumerischen Verbalform

Vor der Verbalbasis (Verbstammform, siehe unten) können zehn verschiedene PrĂ€fixe, hinter der Verbalbasis bis zu drei Suffixe auftreten, das sumerische Verb besitzt also – einschließlich der Verbalbasis – 14 Positionen, an denen Morpheme eingesetzt werden können, die eine bestimmte Bedeutungsfunktion tragen, aus denen sich dann die Gesamtbedeutung der Verbform ergibt. Solche Positionen nennt man auch „Slots“ – ein Begriff aus der grammatischen Theorie der Tagmemik. Es gibt keine konkrete sumerische Verbform, bei der alle Positionen oder Slots besetzt wĂ€ren. Manche Besetzungen schließen einander aus.

In der folgenden Tabelle werden die Slots sumerischer Verbalformen aufgefĂŒhrt und in den nĂ€chsten Abschnitten einzeln erklĂ€rt, wobei die ErklĂ€rungsfolge aus GrĂŒnden des leichteren Zugangs nicht mit der Folge der Slots identisch ist.

Die Slots des sumerischen Verbs

Slot Besetzung
1 Negations-, Sequenz- oder ModalprÀfix
2 KoordinationsprÀfix /nga/
3 VentivprÀfix /mu/ oder /m/
4 MediumprÀfix /ba/
5 Pronominal-adverbiales PrÀfix (mit Bezug zum ersten auftretenden adverbialen PrÀfix)
6 Adverbiales PrĂ€fix 1 – Dativ /a/
7 Adverbiales PrĂ€fix 2 – Komitativ /da/
8 Adverbiales PrĂ€fix 3 – Ablativ /ta/ oder Terminativ /ĆĄi/
9 Adverbiales PrĂ€fix 4 – Lokativ /ni/ oder Direktiv /i/ bzw. /j/
10 Pronominales PrÀfix
11 Verbalbasis (siehe Verbalklassen)
12 PrÀsens-Futur-Marker /ed/ oder /e/
13 Pronominales Suffix
14 Subordinator /-a/: Nominalisierung der Verbalform

Als „Slot 0“ könnte man das prothetische PrĂ€fix /i-/ auffassen, das immer dann verwendet wird, wenn ansonsten nur ein einzelner Konsonant als PrĂ€fix vorhanden wĂ€re, das Wort mit zwei Konsonanten anfinge oder wenn sonst kein PrĂ€fix vorhanden ist, die Verbform aber finit sein soll.

Tempus-Aspekt

Das Sumerische besitzt keine absoluten Tempora, sondern ein relatives Tempus-Aspekt-System. Das „PrĂ€sens-Futur“ (auch „Imperfektiv“ genannt) bezeichnet – relativ zu einem Bezugspunkt – gleich- oder nachzeitige noch nicht abgeschlossene Handlungen, das „PrĂ€teritum“ (auch „Perfektiv“) drĂŒckt vorzeitige abgeschlossene Sachverhalte aus. Zustandsverben bilden nur das PrĂ€teritum aus.

Die Tempora PrÀsens-Futur und PrÀteritum werden im Indikativ durch unterschiedliche Affixe in den Slots 10 und 13, die Form der Verbalbasis (Slot 11) und den PrÀsens-Futur-Marker /-ed/ in Slot 12 unterschieden. Nicht alle drei Kennzeichnungsmöglichkeiten treten in einer Form auf.

Verbalbasen und Verbalklassen (Slot 11)

Die sumerischen Verben lassen sich nach der Form ihrer Verbalbasen (Verbstammformen) in vier Klassen einteilen:

  • UnverĂ€nderliche Verben: diese Verben besitzen dieselbe Basis fĂŒr das PrĂ€sens-Futur und PrĂ€teritum (etwa 50 %–70 % aller Verben)
  • Reduplizierende Verben: Die Basis wird im PrĂ€sens-Futur redupliziert, dabei können verschiedene VerĂ€nderungen auftreten.
  • Erweiternde Verben: Die PrĂ€sens-Futur-Basis wird gegenĂŒber der PrĂ€teritum-Basis durch einen Konsonanten erweitert.
  • Suppletive Verben: Das PrĂ€sens-Futur benutzt eine völlig andere Basis als das PrĂ€teritum.

Außerdem wird bei manchen Verben bei pluralischem Agens oder Subjekt eine andere Basis als bei singularischem Agens oder Subjekt verwendet. Dies fĂŒhrt zu prinzipiell vier „Stammformen“ der Verbalbasis, wie an den folgenden Beispielen deutlich wird.

Beispiele zur Verbalbasis

Verb Bedeutung PrÀt Sg PrÀt Pl PrÀs-Fut Sg PrÀs-Fut Pl Klasse
ƥum geben ƥum ƥum ƥum ƥum unverÀnderlich
gu essen gu gu gu gu unverÀnderlich
ge zurĂŒckkehren ge ge ge-ge ge-ge reduplizierend
kur hineingehen kur kur ku-ku ku-ku reduplizierend
naĝ trinken naĝ naĝ na-na na-na reduplizierend
e hinausgehen e e ed ed erweiternd
te sich nĂ€hern te te teĝ teĝ erweiternd
ĝen/er(e)/du/su(b) gehen ĝen er(e) du su(b) suppletiv
dug/e sprechen dug e e e suppletiv
gub/ĆĄu(g) stehen gub ĆĄu(g) gub ĆĄu(g) suppletiv
til/se leben til se (sig)     suppletiv
uƥ/ug sterben uƥ ug     suppletiv

Durch die Wahl unterschiedlicher Verbalbasen können also zwei Funktionen ausgedrĂŒckt werden:

  • 1. die Kennzeichnung des PrĂ€sens-Futur gegenĂŒber dem PrĂ€teritum.
  • 2. die Kennzeichnung des pluralischen Subjekts gegenĂŒber dem singularischen Subjekt.

Pronominale Suffixe in Slot 13

Es gibt zwei Formen pronominaler Suffixe, die im Slot 13 verwendet werden (Reihe A und B), sie unterscheiden sich allerdings nur in der 3. Person:

1.sg. 2.sg. 3.sg. 1.pl. 2.pl. 3.pl.
Reihe A -en -en -e -enden -enzen -ene
Reihe B -en -en -Ø -enden -enzen -eƥ

Im PrÀsens-Futur bezeichnen die pronominalen Suffixe der Reihe A das Agens eines transitiven Verbums und die der Reihe B das Subjekt eines intransitiven Verbums, welches (bis zum Ende des 3. Jahrtausends in der Regel) ein /ed/ im Slot 12 vorangestellt bekommt.

Im PrĂ€teritum werden nur die pronominalen Suffixe der Reihe B verwendet. Sie kennzeichnen das intransitive Subjekt und das Objekt transitiver Verben, außerdem das pluralische Agens.

Pronominale PrÀfixe in Slot 10

Die pronominalen PrÀfixe in Slot 10 bezeichnen das Agens des PrÀteritums (es werden nur die singularischen Formen verwendet, siehe Konjugationsschema des PrÀteritums) und das direkte Objekt im PrÀsens-Futur. Die Formen 1. und 2. Person sind im Plural nicht belegt:

1.sg. 2.sg. 3.sg.PK 3.sg.SK 3.pl.
j, e (?) j, e (?) n b oder Ø nne oder b

PrÀsens-Futur-Marker /-ed/ in Slot 12

Wenn die Verbalbasis keine besondere Form fĂŒr das PrĂ€sens-Futur besitzt, unterscheidet nur /ed/ im Slot 12 das intransitive PrĂ€sens-Futur vom intransitiven PrĂ€teritum.

Konjugationsschema des PrÀsens-Futurs (Imperfektiv)

Damit ergibt sich fĂŒr das PrĂ€sens-Futur folgendes Konjugationsschema: (PF = PrĂ€sens-Futur)

Slot Slot 10 Slot 11 Slot 12 Slot 13
Funktion Objekt Basis PF-Marker Agens / intr. Subj.
transitiv pron. PrÀf. PF-Basis   pron. Suff. Reihe A
intransitiv   PF-Basis /ed/ pron. Suff. Reihe B

Konjugationsschema des PrÀteritums (Perfektiv)

Die PronominalprÀfixe des Slot 13, Reihe B (Formen siehe oben) kennzeichnen im PrÀteritum das Subjekt des intransitiven und das direkte Objekt des transitiven Verbums.

Das Agens eines transitiven Verbums im PrĂ€teritum wird im Singular durch die Formen des pronominalen PrĂ€fixes in Slot 10 dargestellt (Formen siehe oben), im Plural ebenfalls durch die singularischen PrĂ€fixe im Slot 10 und zusĂ€tzlich durch die pluralischen Suffixe des Slot 13, Reihe B (Formen siehe oben). In diesem Fall (pluralisches Agens) kann ein pronominales Objekt nicht gekennzeichnet werden, da der Slot 13 besetzt ist. Somit ergibt sich fĂŒr das PrĂ€teritum folgendes Konjugationsschema:

Slot Slot 10 Slot 11 Slot 13
Funktion Agens Basis intr. Subj./ Obj. / plur. Agens
intransitiv   PrÀt-Basis Subjekt: pron. Suff. Reihe B
transitiv sg. Agens pron.PrÀf. PrÀt-Basis Objekt: pron. Suff. Reihe B
transitiv pl. Agens pron.PrÀf.sg. PrÀt-Basis Agens: pron. Suff. Reihe B pl.

Zusammenfassung der Konjugationen

Die folgende Tabelle stellt schematisch die Konjugation sumerischer Verben in den Tempora PrÀsens-Futur (PF) und PrÀteritum dar.

Tempus Trans/Intrans Slot 10 Slot 11 Slot 12 Slot 13
    Pron. PrÀfixe Verbalbasis PF-Marker Pron. Suffixe
PrÀs-Fut transitiv Objekt: pron. PrÀf. PF-Basis   Agens: pron. Suff. Reihe A
  intransitiv   PF-Basis /ed/ Subjekt: pron. Suff. Reihe B
PrÀteritum transitiv Sg. Agens: pron.PrÀf. PrÀt-Basis   Objekt: pron. Suff. Reihe B
  transitiv Pl. Agens: pron.PrÀf.Sg. PrÀt-Basis   Agens: pron. Suff. Reihe B Pl.
  intransitiv   PrÀt-Basis   Subjekt: pron. Suff. Reihe B

Split-ErgativitÀt und sumerisches Verbalsystem

Das PrĂ€sens-Futur verwendet in der 1. und 2. Person faktisch ein Nominativ-Akkusativ-System, da Agens und intransitives Subjekt mit denselben pronominalen Suffixen in Slot 13 bezeichnet werden, wĂ€hrend die PrĂ€fixe des Slot 10 das Objekt kennzeichnen. In den 3. Personen gibt es ein ergativisches System mit verschiedenen Affixen fĂŒr Agens und intransitives Subjekt.

Das PrÀteritum benutzt durchgehend ein ergativisches System: Intransitives Subjekt und direktes Objekt verwenden dieselben pronominalen Suffixe der Reihe B in Slot 13.

Die adverbialen PrÀfixe in Slot 6 bis 9

In den Slots 6 bis 9 können adverbiale PrÀfixe auftreten, die adverbiale ErgÀnzungen zum Handlungsablauf leisten.

Slot Slot 6 Slot 7 Slot 8 A Slot 8 B Slot 9 A Slot 9 B
Funktion Dativ Komitativ Ablativ Terminativ Lokativ Direktiv
PrÀfix a da (di) ta (ra) ƥi ni i / j

In den Slots 8 und 9 kann nur je eine der beiden Varianten realisiert sein. Vor dem LokativprÀfix /ni/ kann das KomitativprÀfix zu /di/ werden, intervokalisch (zwischen zwei Vokalen) das AblativprÀfix zu /ra/.

Pronominale PrÀfixe in Slot 5

Die pronominalen PrĂ€fixe in Slot 5 beziehen sich auf das erste adverbiale PrĂ€fix in den Slots 6–9 und werden von diesen wiederaufgenommen. Sie lauten:

Person 1.sg. 2.sg. 3.sg.PK 1.pl. 2.pl. 3.pl.
PrÀfixe j (?) ir, j, e nn, n me ene nne

Bei der Verwendung dieser PrĂ€fixe gibt es viele Ausnahmen und SonderfĂ€lle, teilweise werden PrĂ€fixe der Slots 3 und 4 als Ersatz verwendet. Vor dem Dativ- und DirektivprĂ€fix wird in der 1.sg. eine Form des VentivprĂ€fixes /mu/ (siehe unten Slot 2) verwendet. Als Ersatz fĂŒr das fehlende PrĂ€fix der 3.sg. Sachklasse dient das MediumprĂ€fix /ba/ (siehe unten Slot 4). Vor die PrĂ€fixe /jr/, /nn/, /nne/ in Anfangsposition tritt ein prothetisches (vorangestelltes) /i-/.

MediumprÀfix /ba/ in Slot 4

Das „MediumprĂ€fix“ /ba/ in Slot 4 drĂŒckt aus, dass die Handlung das grammatische Subjekt oder seine Interessen unmittelbar berĂŒhrt. SekundĂ€r ist die Funktion von /ba/ als Ersatz fĂŒr das pronominale PrĂ€fix in Slot 5 in der 3.sg. SK (letztes Beispiel).

Beispiele zum MediumprÀfix /ba/

Verbform Analyse 1 Analyse 2 Bedeutung
ba-ĂșĆĄ 4 ba – 11 uĆĄ − 13 Ø MED-sterben-3.sg.Subj er stirbt
ba-hul 4 ba – 11 hul – 13 Ø MED-zerstören-3sg.Subj er wurde zerstört
ba-an-tuku 4 ba – 10 n – 11 tuku – 13 Ø MED-3.sg.Ag-haben-3sg.Obj er nahm fĂŒr sich
igi ba-ơi-bar igi-Ø 4 ba – 8 ơi – 10 n – 11 bar – 13 Ø Auge-Abs. 3.SA.Pr-TERM-3.Sg.Ag.-richten-3Sg.Obj. richtete sein Auge auf etwas

VentivprÀfix /mu/ in Slot 3

Das „VentivprĂ€fix“ bezeichnet eine Bewegung der Handlung auf den Ort des mitgeteilten Sachverhalts oder einer verbalen ErgĂ€nzung hin. Vor dem Dativ-PrĂ€fix (Slot 6) oder Direktiv-PrĂ€fix (Slot 9) fungiert es in der 1. sg. als pronominales PrĂ€fix (Ersatz fĂŒr Slot 5). Seine Formen sind

  • /m/ vor Vokal, vor /b/ und unmittelbar vor der Verbalbasis (/mb/ wird zu /mm/ assimiliert und schließlich zu /m/ gekĂŒrzt);
  • in allen anderen FĂ€llen lautet es /mu/, wobei sich das /u/ an den Vokal der folgenden Silbe assimilieren kann.

KoordinationsprÀfix /nga/ in Slot 2

Dieses PrĂ€fix wird der letzten Verbalform einer gleichgeordneten Kette von Verbalformen prĂ€figiert und hat die Bedeutung „und auch“, ist also ein sog. Satzkoordinator.

Die ModalprÀfixe in Slot 1

In Slot 1 stehen das „NegationsprĂ€fix“, das „SequenzprĂ€fix“ oder die eigentlichen „ModalprĂ€fixe“.

Das NegationsprÀfix (VerneinungsprÀfix) indikativer (und infiniter) Verbalformen ist /nu-/, das /u/ kann sich an die Vokale der folgenden Silbe assimilieren. Vor den Silben /ba/ und /bi/ lautet das NegationsprÀfix /la-/ bzw. /li-/.

Das SequenzprĂ€fix /u-/ drĂŒckt die Nachzeitigkeit der Verbalform im Vergleich zu den vorher beschriebenen Handlungen aus („und dann 
“). /u/ kann sich an den Vokal der nĂ€chsten Silbe assimilieren.

Sieben PrĂ€fixe im Slot 1 beschreiben die ModalitĂ€t der Handlung, modifizieren also die neutrale Grundbedeutung der Verbform. Dabei kann einerseits die AussagerealitĂ€t des Sachverhaltes modifiziert werden („epistemische“ ModalitĂ€t: sicher, wahrscheinlich, vielleicht, sicher nicht 
) oder andererseits beschrieben werden, was getan oder nicht getan werden sollte („deontische“ ModalitĂ€t).

ModalprÀfixe im Slot 1

PrÀfix Verwendung Semantik Bedeutung
ga- deontisch positiv, nur 1.Ps. ich will/ wir wollen tun
ha- deontisch optativ muss oder soll getan werden (erfĂŒllbarer Wunsch)
  epistemisch affirmativ ist möglich/sicher, dass
bara- deontisch vetitiv darf nicht getan werden
  epistemisch stark verneinend ist sicher, dass nicht
na(n)- deontisch schwach negativ sollte nicht getan werden
  epistemisch negativ ist nicht möglich, dass
na- epistemisch positiv ist wirklich so
ĆĄa- epistemisch positiv ist wirklich so
nuĆĄ- deontisch positiv sollte getan werden (unerfĂŒllbarer Wunsch)

Prothetisches /i-/

Das prothetische (vorangestellte) PrÀfix Ï- tritt immer dann auf, wenn sonst nur ein einzelner Konsonant als PrÀfix vorhanden wÀre, das Wort mit zwei Konsonanten anfinge oder kein PrÀfix vorhanden ist, die Verbform aber finit sein soll.

Beispiele zur Verbalbildung

Bei den Verbalformen ist in der Morphemzerlegung fĂŒr die einzelnen Bestandteile die Nummer des Slots nachgestellt. (Slot 0 fĂŒr das prothetische /ĂŹ-/).

Bsp. Schreibung Morphemzerlegung (mit Slots) / Analyse Übersetzung
1 lugal mu-ĝen lugal-Ø   mu (3) – ĝen (11) – Ø (13)
König-ABS   VENT–gehen.PRÄT–3s.SBJ
der König kam
2 lugal-e bad ì-in-sù lugal-e   bad-Ø   i (0) – n (10) – seg (11) – Ø (13)
König-ERG   Mauer-ABS   PROTH-3s.AG-niederreißen-3s.OBJ
der König riss die Mauer(n) nieder
3 im-ta-sikil-e-ne i (0) – m (3) – b (5) – ta (8) – b (10) – sikil (11) – e (12) – ene (13)
PROTH-VENT-3.SK-ABL-3.SK.OBJ-reinigen.PF-3p.PK
sie reinigen dieses hier damit
4 mu-ra-an-sum mu (3) – jr (5) – a (6) – n (10) – sum (11) – Ø (13)
VENT-2s-DAT-3.PK.AG-geben.PRÄT-3.OBJ
er gab es dir
5 mu-na-ab-Ășs-e mu (3) – n (5) – a (6) – b (10) – us (11) – e (12) – Ø (13)
VENT-3.PK-DAT-3.PK.OBJ-auferlegen-IPFV-3s.PK.AG
er erlegte es ihm auf
6 zĂș-ĝu10 ma-gig zu-ĝu   m (3) – Ø (5) – a (6) – gig (11) – Ø (13)
Zahn-1s.POSS   VENT-1s-DAT-krank.sein.PRÄT-3.SBJ
mein Zahn hat mir wehgetan
7 ki-bi-ơù ba-ni-in-ĝar ki-bi-ơe   ba (4) – ni (9) – n (10) – ĝar (11) – Ø (13)
Ort-3.SK.POSS-TERM   MED-LOC-3.PK.AG-stellen-3.OBJ
er stellte es an seinen Platz
8 nu-mu-Ăč-ta-zu nu (1) – mu (3) – j (5) – ta (8) – Ø (10) – zu (11) – Ø (13)
NEG-VENT-2s-ABL-1s.AG-wissen.PRÄT-3.OBJ
ich habe es von dir nicht erfahren
9 áž«Ă©-mu-Ăč-zu áž«e (1) – mu (3) – j (10) – zu (11) – Ø (13)
PREK-VENT-2s.AG-wissen.PRÄT-3.OBJ
mögest du es erfahren!
10 Ăč-na-du11 u (1) – n (5) – a (6) – j (10) – dug (11) – Ø (13)
SEQ-3s.PK-DAT-2s.AG-sagen.PRÄT-3.OBJ
und dann hast du ihm folgendes gesagt

ErlĂ€uterung der AbkĂŒrzungen:

Abk. ErlÀuterung
1 1. Person
2 2. Person
3 3. Person
ABL Ablativ
AGENS/AG Subjekt bei transitiven SĂ€tzen (Agens)
DAT Dativ
LOC Lokativ
MED Medium
NEG Negation
OBJ direktes Objekt (Patiens)
p Plural
PF PrÀsens-Futur (eig. Imperfektiv; marû)
PK Personenklasse (human)
POSS Possessivpronomen
PREK Prekativ
PROTH prothetischer Vokal /ĂŹ-/
PT PrĂ€teritum (eig. Perfektiv; áž«amáč­u)
s Singular
SBJ Subjekt in intransitiven SĂ€tzen
SEQ sequentielle Verbform (zeitlich der vorherigen folgend)
SK Sachklasse (nicht-human)
TERM Terminativ (Kasus)
VENT Ventiv

Weitere Formen

FĂŒr die Darstellung weiterer Verbalformen (Imperativ, infinite Formen), der Verwendung anderer Wortarten (Pronomina, Zahlwörter, Konjunktionen) und insbesondere der sumerischen Syntax wird auf die angegebene Literatur verwiesen.

Literatur

Grammatik

  • Pascal Attinger: ElĂ©ments de linguistique sumĂ©rienne. Editions Universitaires de Fribourg, Göttingen 1993, ISBN 3-525-53759-X.
  • Dietz-Otto Edzard: A Sumerian Grammar. Brill, Leiden 2003, ISBN 90-04-12608-2.
  • Adam Falkenstein: Das Sumerische. Brill, Leiden 1959, 1964.
  • Adam Falkenstein: Grammatik der Sprache Gudeas von LagaĆĄ. Band 1: Schrift- und Formenlehre. Band 2: Syntax (= Analecta Orientalia. Band 28/29). 2. Auflage, Pontificium Institutum Biblicum, Rom 1978.
  • John L. Hayes: Sumerian. A manual of Sumerian grammar and texts. 2. Auflage. Undena Publications, Malibu CA 2000, ISBN 0-89003-197-5.
  • Bram Jagersma: A descriptive grammar of Sumerian. MS, Leiden 1999 (4th preliminary version).
  • И.Đą. ĐšĐ°ĐœĐ”ĐČĐ°: ĐšŃƒĐŒĐ”Ń€ŃĐșĐžĐč ŃĐ·Ń‹Đș. Orientalia. ĐŠĐ”ĐœŃ‚Ń€ â€žĐŸĐ”Ń‚Đ”Ń€Đ±ŃƒŃ€ĐłŃĐșĐŸĐ” Đ’ĐŸŃŃ‚ĐŸĐșĐŸĐČĐ”ĐŽĐ”ĐœĐžĐ”â€œ, Sankt Petersburg 1996.
  • Piotr Michalowski: Sumerian. In: Roger D. Woodard (Hrsg.): The Cambridge Encyclopedia of the World’s Ancient Languages. Cambridge University Press, Cambridge 2004, ISBN 0-521-56256-2.
  • Arno Poebel: GrundzĂŒge der sumerischen Grammatik. Rostock 1923.
  • Marie-Louise Thomsen: The Sumerian Language. An Introduction to its History and Grammatical Structure. Akademisk-Forlag, Kopenhagen 1984, 2001, ISBN 87-500-3654-8.
  • GĂĄbor ZĂłlyomi: Genitive Constructions in Sumerian. In: Journal of Cuneiform Studies, Band 48, 1996, ISSN 0022-0256, S. 31–47.
  • GĂĄbor ZĂłlyomi: Sumerisch. In: Michael P. Streck (Hrsg.): Sprachen des Alten Orients. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005 (Grundlage fĂŒr die hier vorgestellte Kurzgrammatik, insbesondere der Verbalmorphologie).

Lexikon

  • John Alan Halloran: Sumerian Lexicon. A Dictionary Guide to the Ancient Sumerian Language. Logogram Publishing, Los Angeles 2006, ISBN 0-9786429-0-2 (Vorversionen der Druckfassung auch im Internet verfĂŒgbar).
  • Anton Deimel: Ć umerisches Lexikon. Rom 1947.

Sprachverwandtschaft

Texte

  • Edmond Sollberger, Jean-Robert Kupper: Inscriptions Royales Sumeriennes et Akkadiennes. In: LittĂ©ratures anciennes du Proche-Orient. Les Editions du Cerf, Paris 5.1971. ISSN 0459-5831
  • François Thureau-Dangin: Die sumerischen und akkadischen Königsinschriften. Hinrichs, Leipzig 1907.
  • Konrad Volk: A Sumerian Chrestomathy. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2012, ISBN 978-3-447-06782-9 (Subsidia et Instrumenta Linguarum Orientis 5).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. ↑ Nadezda Rudik: Entwicklung der keilschriftlichen sumerischen Beschwörungsliteratur von den AnfĂ€ngen bis zur UR III-Zeit. Dissertationsschrift UniversitĂ€t Jena, Jena 2011, auf db-thueringen [1]
  2. ↑ John D. Bengtson: The Riddle of Sumerian: A Dene-Caucasic language? In: Mother Tongue, Gloucester MA 3.1997, S. 63–74. ISSN 1087-0326
  3. ↑ John D. Bengtson: Edward Sapir and the "Sino-Dene" Hypothesis Anthropol. Sci. 102(3), 207–230, 1994 ([2] auf jstage.jst.go.jp) hier S. 210.
  4. ↑ Đ˜ŃŃ‚ĐŸŃ€ĐžŃ ЎрДĐČĐœĐ”ĐłĐŸ Đ’ĐŸŃŃ‚ĐŸĐșĐ°, т.2. М. 1988, глаĐČĐ° 3. (auf russisch: Geschichte des Alten Orients, Teil 2, Moskau 1988. Herausgegeben von der sowjetischen Akademie der Wissenschaften, Kapitel III.)]
  5. ↑ Gordon Whittaker: The Case for Euphratic. In: Bulletin of the Georgian National Academy of Sciences, Tbilisi 2008, 2(3), S. 156–168.